Gaspreisturbulenzen sorgen weiter für hohe Belastungen beim Gasvertrieb

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Rasant gestiegene Energiepreise bringen immer mehr Anbieter in Bedrängnis und spülen zunehmend Kunden in die Grundversorgung. Dies hat auch Auswirkungen auf die aktuelle EID-Gaspreisumfrage.

Die Energiepreiskrise hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Billiganbieter von Strom und Gas in die Pleite getrieben, und das führt nun auch zu Konsequenzen im Energievertriebsgeschäft etablierter Versorger. Anfang Dezember stellte der Gas-Discounter Gas.de die Kundenbelieferung ein, kurz darauf folgte das Schwesterunternehmen Stromio. Allein mit dem spektakulären Wegfall der von den beiden Unternehmen bedienten Vertriebsmarke Grünwelt Energie wurden einige hunderttausend Kunden in die Grund- und Ersatzversorgung der örtlichen Netzbetreiber übernommen. Diese sind zumeist in kommunaler Hand und planen ihre Beschaffung langfristig. Müssen diese nun zusätzliche Neukunden versorgen, benötigen sie kurzfristig weitere Energiemengen, aber genau die sind unter den aktuellen Marktbedingungen nur mit großem finanziellen Aufwand erhältlich. Konsequenz daraus: Immer mehr Grundversorger müssen ihre Kalkulationen neu berechnen, und das hat massive Auswirkungen auf die Grundversorgungstarife und die Sondervertragskonditionen. Die Energiepreiskrise ist damit mit dem Jahreswechsel nun endgültig auch bei den Haushaltskunden angekommen. Nahezu alle Grundversorger in den vom EID ausgewählten 19 Städten haben ihre Preise inzwischen angehoben, wie die Grafik auf Seite 2 darstellt. Auffällig dabei ist, dass rund die Hälfte der von uns abgefragten Versorger derzeit kein alternatives Sondervertragsangebot für die betroffenen Kunden macht.

Die Energiepreiskrise schlägt sich nun auch in der aktuellen EID-Gaspreisumfrage nieder. Zahlreiche Grundversorger haben ihre Tarife bereits angepasst. Einige bieten derzeit keine günstigeren Sonderverträge mehr für Neukunden an. Abgefragt wurden der Grundversorgungstarif sowie der günstigste online buchbare Sondervertrag des Grundversorgers in 19 deutschen Städten zum 1. Januar 2022. Für Frankfurt/Oder waren keine Daten abrufbar. Bild: EID

Im Vergleich zur letzten EID-Gas­preis­umfrage vom 1. Oktober haben sich in der Grundversorgung die Preise verdoppelt, und einige Versorger kündigen schon jetzt weitere Preisanpassungen für das Frühjahr an. Kostete die Grundversorgung vor drei Monaten im Schnitt noch 6,10 Cent/kWh (berechnet aus dem Grund- und Arbeitspreis bei einer Bezugsmenge von 33.540 kWh), so ist der Durchschnittstarif nun auf 12,11 Cent/kWh gestiegen. Noch deutlicher sind die Aufschläge bei den Sonderverträgen. Hier stiegen die Gasbezugspreise für Haushaltskunden von 5,18 Cent/kWh auf nun 12,18 Cent/kWh an.
Aber wie konnte es zu dieser Entwicklung überhaupt kommen? Warum sind die Gaspreise derart massiv angestiegen?

Im vierten Quartal hat sich die Situation an den Gashandelsmärkten im Grunde immer stärker zugespitzt. Kurz vor Weihnachten – am 21. Dezember – wurde dann der bisherige Höhepunkt der Preisentwicklung erreicht. Der Day-Ahead notierte am THE VHP bei mehr als 180 Euro/MWh, und für das Cal 22 wurde ein Preis von 139 Euro/MWh aufgerufen (siehe Abbildung Seite 3). Bis zum Jahresende fiel dann der Day-Ahead-Preis wieder um mehr als 100,00 Euro/MWh auf 68,40 Euro/MWh, und Cal 22 notierte am letzten Tag des Handels mit diesem Kontrakt mit 54,50 Euro/MWh.
Vor allem zwei Faktoren haben die Preise auf die astronomischen Höhen katapultiert:

  • Leere Speicher und die winterlichen Temperaturen, die im Dezember zeitweise herrschten sowie
  • niedrige Gasflüsse aus Russland und Diskussionen über die Inbetriebnahme von Nord Stream 2.

Händler äußern sich durchaus unterschiedlich auf die Frage, ob denn die Diskussionen über russische Gasflüsse und Nord Stream 2 oder die Speicherfüllstände und die Temperaturvorhersagen einen größeren Einfluss auf die Preise haben. Einig waren sich aber alle Marktteilnehmer, dass die Äußerungen der Außenministerin Annalena Baerbock vom 13. Dezember, bei einer weiteren Eskalation der Situation an der russisch-ukrainischen Grenze durch Russland könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, unter Gashandelsgesichtspunkten wenig hilfreich waren. An dem Tag stieg der Gaspreis deutlich an. Bezüglich der Gasflüsse aus Russland haben Händler im Dezember vor allem wieder auf den deutsch-polnischen Grenzübergangspunkt Mallnow, dem Ende der Jamal-­Nord-­Transitroute aus Russland über Belarus, geschaut. Für Dezember hatte Gazprom in Mallnow keine Monatskapazität für den Transport nach Deutschland gebucht. Bis zum 17. Dezember floss aber noch Erdgas, da der russische Gaskonzern jeden Tag für den Folgetag Kapazität buchte. Mit rund 250 GWh/Tag war die Menge aber überschaubar, lediglich gut 25 Prozent der verfügbaren Kapazität wurden genutzt. Am 18. Dezember wurde aus dem Fluss ein Rinnsal, von 30 und dann 14 GWh/Tag, und seit dem 21. Dezember fließt gar kein Gas mehr von Ost nach West. Für Gesprächsstoff sorgt seitdem – dies nur am Rande – der Gasfluss in Mallnow in Richtung Polen. Technisch ist dies kein Problem, eine entsprechende Verdichtung ist in Mallnow möglich. Ein solcher Gasfluss ist auch nicht ungewöhnlich, da einige polnische Markt­teilnehmer Gas in Deutschland kaufen, beziehungsweise deutsche Händler Gas in Polen verkaufen. Aber in der Regel sieht man diesen Fluss von West nach Ost nicht, da er in dem größeren Fluss nach Deutschland „untergeht“.

Als die Temperaturen in Deutschland Mitte Dezember deutlich unter die langjährigen Mittelwerte rutschten, stieg die Nervosität der Händler. Zumal eine länger anhaltende Kälteperiode prognostiziert wurde. Die Speicher in Deutschland waren noch zu 58 Prozent gefüllt, ein historisch schlechter Füllstand zu diesem Zeitpunkt im Jahr. Eine Reihe von Speichern, unter anderem in Süddeutschland, war noch deutlich schlechter befüllt. Aus Sicht des Marktgebietsverantwortlichen THE war die Situation so kritisch, dass er sich in einer Sonderausschreibung des Regelenergieproduktes „Long-Term Options“ für Februar Zugriff auf 5.000 MW Speicherkapazität in Süddeutschland gesichert hat.

Entwicklung der Gaspreise am THE VHP (bis 30.9.2021 NCG VP). Quelle: THE / NCG

Diese Gemengelage führt nicht nur zu steigenden Gaspreisen sowohl bei Industrie- als auch bei Haushaltskunden, sondern auch zu Verwerfungen im Gasvertrieb. Dies macht auch die Abschätzung der zukünftigen Preis- und Marktentwicklung schwierig. Mittlerweile sind wie gesehen eine ganze Reihe vor allem kleinerer Anbieter insolvent oder haben die Belieferung von Kunden kurzfristig eingestellt. Die Zahl der Anbieter für neue Verträge ist deutlich gesunken, da die Preiskalkulation angesichts der starken Preis­veränderungen extrem herausfordernd geworden ist. Industriekunden sind schon froh, wenn sie überhaupt mehr als einen potenziellen Anbieter finden. Im Haushaltskundensegment ist in vielen Netzgebieten der örtliche Grundversorgungstarif zum preiswertesten Angebot geworden. Da dieser Tarif auf Basis einer längerfristigen Beschaffungsstrategie kalkuliert wurde, halten sich die Preissteigerungen in dem Bereich in Grenzen. Allerdings reichen die beschafften Mengen nicht, da die Zahl der Kunden in der Grundversorgung durch die Einstellung der Belieferung von anderen Anbietern deutlich steigt. Versorger haben darauf mit einer Splittung des Tarifs für „Alt“- und „Neu“-Kunden reagiert. 41 Prozent der vom Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) befragten Grundversorger haben zu dieser Maßnahme gegriffen, berichtet die Zeitung für Kommunale Wirtschaft.

Vor allem die Einstellung der Belieferung von Haushaltskunden durch Gas.de war für viele Stadtwerke wohl der letzte Anstoß für diesen Schritt. Kurz vor Weihnachten hatten die Stadtwerke Bielefeld einen solchen zweiten Grundversorger­tarif für Strom und Gas eingeführt und können damit nun soziale Härten abfedern. In die neuen Grundversorgungstarife wurden die aktuell hohen Beschaffungskosten für Neukunden eingepreist. Die Bestandskunden seien von der Erhöhung ausgenommen, man möchte die höheren Kosten für die teure Energiebeschaffung der Neukunden nicht auf alle Kunden verteilen, betont Holger Mengedodt, Geschäftsbereichsleiter Markt und Kunde bei den Stadtwerken Bielefeld. Auch Stadtwerke-Kunden, die innerhalb des Netzgebietes umziehen, erhalten auch für die neue Wohnung den bisherigen Tarif. Diese Mengen seien für 2022 kalkulierbar gewesen und bereits im Vorfeld beschafft worden, heißt es aus Bielefeld.

Wird sich die Situation 2022 normalisieren? Viele Analysten rechnen mit einer gewissen Beruhigung am Ende des Winters. Das LNG-Angebot wird steigen, und Son­dereffekte – wie die Hitze in Asien und die Trockenheit in Südamerika – müssen nicht wieder auftreten. Jedoch setzt sich immer stärker die Einschätzung durch, dass auch 2022 ein unruhiges Jahr werden wird. Die Nachfrage im Sommer wird vermutlich hoch sein, um Speicher wieder zu befüllen, das Verhältnis zu Russland ist ungeklärt. Eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 würde das gaswirtschaftliche Verhältnis entspannen. Aber der politische Druck ist hoch, und das Zertifizierungsverfahren wird im ersten Halbjahr 2022 vermutlich nicht beendet werden. Gegen eine Zertifizierung einer deutschen Tochtergesellschaft der Nord Stream 2 als Unabhängiger Netzbetreiber wird es zudem mit Sicherheit gerichtliche Beschwerden in Deutschland und womöglich auch bei der europäischen Justiz geben.

Wie schnell die Preise sinken können, war Ende 2021 zu sehen. Die Ankündigung von LNG-Lieferungen aus den USA (30 LNG-Tanker) und milderes Wetter als erwartet, ließen die Preise purzeln. Allerdings bleibt das Niveau hoch. Und Anfang Januar stiegen die Preise schon wieder in Richtung 100,00 Euro/MWh.

Artikel von Kai Eckert und Heiko Lohmann
Artikel von Kai Eckert und Heiko Lohmann