„Eine beschleunigte Energiewende ist das A und O“

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck Foto: S. Kaminski/Grüne im Bundestag

Der Erneuerbaren-Ausbau wird beschleunigt, für eine Übergangszeit dennoch Gas benötigt. Im EID-Interview skizziert Wirtschaftsminister Robert Habeck den Weg in eine unabhängige und sichere Energieversorgung der Zukunft.

EID: Herr Habeck, seit Beginn der Ukraine-Krise hat Deutschland seine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen deutlich reduziert. Vieles, was lange undenkbar war, ist nun plötzlich möglich geworden. Wie ist es um die Versorgungssicherheit derzeit bestellt und wie sehen die Perspektiven aus?

Habeck: Die Versorgung ist weiter gewährleistet und wir tun als Bundesregierung alles, damit das auch in Zukunft so bleibt. Das verlangt einen großen gemeinsamen Kraftakt, bei dem alle mitziehen müssen. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten viele Hebel in Bewegung gesetzt, um weniger fossile Energien aus Russland zu importieren. Die Unternehmen haben ihre Lieferverträge bei Kohle und Öl teilweise bereits umgestellt bzw. sind dabei, neue Verträge mit neuen Lieferanten zu schließen. Wir haben vier schwimmende LNG-Terminals gemietet haben und wir korrigieren Fehler der Vergangenheit, indem wir unsere Gasspeicher stärker regulieren und mit ganzer Kraft den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. Das sogenannte Osterpaket mit einer umfassenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist im parlamentarischen Verfahren und soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.  Und wir brauchen auch mehr Tempo beim Energiesparen. Mehr Energieeffizienz ist der günstigste und effizienteste Beitrag zu mehr Unabhängigkeit. Ich weiß, dass viele Menschen schon allein wegen der hohen Preise Energie sparen, aber dennoch möchte ich es nochmal betonen: Energiesparen ist das Gebot der Stunde. Wir haben im Juni auch eine Energiesparkampagne gestartet, die zum Mitmachen einlädt. 

EID: Sie setzen jetzt sehr stark auf LNG-Importe. Eine künftig tragende Säule der Energieversorgung soll aber auch im Hinblick auf die Klimaneutralität Wasserstoff werden. Wie lange werden wir die LNG-Terminals überhaupt benötigen? Oder anders gefragt: Haben Sie keine Bedenken, dass Sie jetzt zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit aus der Not heraus nicht die falschen Weichen gestellt haben?

Habeck:
Wir wollen und werden aus fossilen Energien aussteigen. Das gilt auch für Gas. Dazu müssen wir die Erneuerbaren Energien schneller ausbauen. Dennoch werden wir Gas für eine Übergangszeit brauchen, insbesondere mit Blick auf den nächsten Winter, wo wir schnell Ersatz für fossile russische Importe brauchen. Schwimmende Flüssiggas-Terminals sind hier ein wichtiger Baustein, denn sie sind schneller realisierbar als feste Terminals, weniger einschneidend beim Bau der Infrastruktur und wenn sie nicht mehr gebraucht werden, können die Mietverträge  – es sind ja bewusst keine Kaufverträge – auch beendet werden. Gleichzeitig denken wir hier die Anlandeinfrastruktur zum Import von grünem Wasserstoff und Ammoniak bereits mit und bereiten diese für die Zukunft vor. 

EID: Angesichts der dramatischen Ereignisse in der Ukraine ist die Frage ethisch vielleicht nicht korrekt, aber ist die aktuelle Situation nicht eigentlich ideal, um die Energiewende zu beschleunigen?

Habeck:
Eine beschleunigte Energiewende ist das A und O für eine günstige, unabhängige und sichere Energieversorgung der Zukunft. Insofern hat vieles von dem, was ich und was diese Regierung ohnehin vorhatte, durch die letzten Wochen und Monate nur eine noch höhere Bedeutung bekommen. Insbesondere der Ausbau der Erneuerbaren hat angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine eine doppelte Dringlichkeit erhalten. Zum einen spitzt sich die Klimakrise zu. Zum anderen zeigt der schreckliche Krieg in der Ukraine, dass wir erpressbar sind, weil wir uns in Deutschland zu lange zu einseitig abhängig von russischen Importen gemacht haben. Wir ändern daher jetzt die Laufrichtung und arbeiten hart daran, uns Schritt für Schritt und Sparte für Sparte aus der Klammer russischer Importe zu befreien. Souveränität bei der Energieversorgung haben wir aber letztlich erst dann erreicht, wenn die Erneuerbaren Energien die tragende Säule unserer Energieversorgung sind. Deshalb haben wir in der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes erstmals verankert, dass die erneuerbaren Energien im öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen, was ihren Ausbau entscheidend beschleunigen wird. 

EID: Die Offshore-Windenergie soll beispielsweise das Standbein für eine kostengünstige Stromversorgung der Industrie werden. Vom vorgeschlagenen Ausschreibungsdesign befürchtet die Branche aber, dass sich die Auktionsergebnisse deutlich erhöhen und dadurch am Ende die Strompreise weiter steigen werden. Müssen Sie hier nachbessern? Und wie lassen sich diese Strommengen in das Gesamtsystem integrieren?

Habeck:
Das ist durchaus komplex und wir müssen hier mehrere Ebenen im Blick haben. Natürlich müssen wir unsere Stromnetze ausbauen. Der Strom muss von der Erzeugung – etwa von den Offshore-Anlagen – zu den Verbrauchern kommen. Mit der aktuellen Bundesbedarfsplangesetz-Novelle bringen wir nun weitere 19 Ausbauvorhaben, welche im letzten Netzentwicklungsplan 2021-2035 bestätigt wurden, auf den Weg. Letztlich ist Deutschland aber keine Strominsel – wir sind mitten in Europa. Zur Integration der Strommengen brauchen wir daher auch einen starken und funktionierenden europäischen Binnenmarkt. Angesichts stark gesunkener Technologiekosten und der hohen Erlöse, die die Betreiber am Strommarkt erzielen können, macht es nicht zuletzt auch im Interesse der Stromkunden Sinn, die Betreiber von Offshore-Windparks auch an den Kosten für den Offshore-Windkraftausbau zu beteiligen.

EID: Auch mit einem engagierten Netzausbau werden wir Speicherkapazitäten oder Flexibilitätsoptionen zur Vermeidung von Netzengpässen benötigen. Eine Lösung könnten Elektrolyseure sein. Eingangs haben Sie ja bereits die Potenziale von LNG- und Wasserstoff-Importen skizziert. In welchem Umfang können wir Wasserstoff selbst produzieren und welchen Einfluss hat das auf die Industriepolitik und die künftige Ansiedlung von energieintensiven Unternehmen? Welche Rolle werden dabei hiesige Technologieunternehmen spielen und in welchem Umfang können wir diese Technologien auch ins Ausland exportieren?

Habeck:
Grüner Wasserstoff ist ein wichtiger Schlüssel für eine klimaneutrale Wirtschaft. Gerade in der Industrie wird der Bedarf an grünem Wasserstoff sehr schnell sehr hoch sein. Deshalb ist es das Ziel der Bundesregierung, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft deutlich zu beschleunigen und unter anderem die Elektrolyseleistung bis 2030 auf 10 Gigawatt auszubauen, was einer Verdopplung gegenüber der bisherigen nationalen Wasserstoffstrategie entspricht. Um dieses Ziel zu erreichen brauchen wir zweierlei: Produktion in Deutschland und Importe aus anderen Ländern. Beides haben wir im Blick. So arbeiten wir in Europa an einem großen gemeinsamen europäischen Wasserstoffprojekt. Wir fördern das mit über 8 Milliarden Euro und haben allein in Deutschland 62 Projekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette ausgewählt. Gleichzeitig wollen wir auch international den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vorantreiben und über das Instrument H2Global langfristige Wertschöpfungs- und Lieferketten aufbauen. Bei H2Global geht es um ein sogenanntes Doppelauktionsmodell, das wir als Bundesregierung mit 900 Millionen Euro unterstützen. Das bedeutet, Wasserstoff oder Wasserstoffderivate werden günstig auf dem Weltmarkt eingekauft und in der EU meistbietend verkauft.

EID: Klar ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und auch der Umstieg auf LNG-Importe die aktuellen Probleme aus dem Ukraine-Konflikt zeitnah nicht lösen kann. Inzwischen mehren sich die Stimmen, den Kohleausstieg zu verschieben und auch die Kernkraftwerke länger am Netz zu lassen. Ist das wirklich eine sinnvolle Option?

Habeck:
Mein Ministerium hat im Mai Vorschläge dafür vorgelegt, wie wir die Vorsorge für den nächsten Winter weiter erhöhen, indem wir für den Fall einer Gasmangellage zusätzliche Strom­erzeugungskapazitäten aus Kohle aus den bestehenden Reserven bereit halten. Das Ganze erfolgt nur auf Abruf und nur im Fall einer drohenden Gasmangellage und ist bis zum bis zum 31. März 2024 befristet. Der Kohleausstieg bis 2030 ist davon nicht berührt. Im Gegenteil ist er wichtiger denn je!
Was das Thema Kernkraftwerke anbelangt, so haben wir gesagt, dass wir uns diese Frage vorurteilsfrei anschauen. Wir haben sie gemeinsam mit dem Umweltministerium geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Lösung des Problems leisten könnte, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten, verfassungsrechtlichen und sicherheits­technischen Risiken. Daher gehen wir diesen Weg bewusst nicht.

EID: Herr Habeck, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Artikel von Kai Eckert
Artikel von Kai Eckert