IPCC und Geopolitik erhöhen Handlungsdruck

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sieht in der anhaltenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen eine Anfälligkeit für geopolitische Schocks und Krisen. Bild: United Nations/IPCC

Der Ukraine-Krieg macht es deutlich: Europa muss von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unabhängig werden und die Energiewende beschleunigen. Für das Weltklima wird das aber kaum reichen.

Eigentlich soll es bei den Abschlussberatungen des Weltklimarates IPCC um letzte Formulierungen in der textlichen Zusammenfassung für die Entscheidungsträger zur Klimakrise gehen. Nach einer leidenschaftlichen Erklärung seiner ukrainischen Kollegin Svitlana Krakovska zur Lage in ihrem Land hat dann aber der russische Delegationsleiter Oleg Anisimow überraschend erklärt, er wolle „im Namen aller Russen für die Unfähigkeit, diesen Konflikt zu verhindern, um Entschuldigung bitten“. Normalerweise finden die Abschlusssitzungen zum IPCC-Sachstandsbericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch jetzt waren die Teilnehmer unter sich, entweder am Tagungsort in Paris oder aus dem Homeoffice zugeschaltet. Übereinstimmend zitierten mehrere Konferenzteilnehmer Anisimow: „Diejenigen, die sehen, was passiert, können keine Rechtfertigung für diesen Angriff auf die Ukraine finden.“

Nur wenige Tage nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat das IPCC am 28. Februar einen weiteren Teil seines sechsten Sachstandsberichts vorgelegt, der der schockierten Weltgemeinschaft zeigt, wie die Klima­krise den Menschen existenziell bedroht. In diesem zweiten Teil geht es darum, was der menschengemachte Klimawandel auf der Erde anrichtet, wen er besonders trifft und was die Menschen tun müssen, um Schäden abzuwenden.

Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen sind nach den aktuellen Erkenntnissen der Klimaforschung erneut häufiger geworden und zerstören überall auf der Welt Lebensgrundlagen und Infrastruktur. Einen besonderen Schwerpunkt legt der IPCC-Bericht auf die Verbindung zwischen Mensch, Natur und Klima. Je schneller die Erderwärmung voranschreitet, umso größer sind auch die Folgen für Tiere und Pflanzen. Rund die Hälfte aller weltweit untersuchten Arten seien schon jetzt in andere, kühlere Regionen migriert. Der Verlust der Biodiversität wiederum hat erhebliche Auswirkungen für den Menschen.

„Ich habe in meinem Leben schon viele wissenschaftliche Berichte gesehen, aber keinen wie diesen“, erklärte UN-Generalsekretär Antonio Guterres und bezeichnete den Report als einen „Atlas des menschlichen Leids“.

„Die Auswirkungen des Klimawandels nehmen schnell zu, sie treffen uns früher als erwartet, und sie betreffen mehr Menschen“, so Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Der aktuelle IPCC-­Bericht stellt viel stärker als jemals zuvor heraus, wie sehr Klimaanpassung von der sozialen Lage gesellschaftlicher Gruppen oder ganzer Länder abhängt.  Erstmals zeigt das IPCC auf, dass schon eine globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius zu einem Anstieg der vielfachen Klimarisiken führe. Diese ‚multiple climate hazards‘ wirkten sehr stark auf die Ökosysteme und die Menschen. In ihrem Bericht schreiben die Klimaforscher, selbst wenn es gelänge, die globale Erwärmung kurzfristig auf die 2015 in Paris beschlossenen 1,5 Grad zu begrenzen, würde das zwar die Verluste und Schäden erheblich reduzieren, aber nicht mehr vollständig vermeiden. Drei bis 14 Prozent der Arten wären dann in Landökosystemen von einem „sehr hohen Aussterberisiko“ betroffen. Sollte die Erderwärmung auch nur zeitlich begrenzt und vorrübergehend überschritten werden, dann werden durch einen solchen Overshoot zusätzliche und schwerwiegende Risiken eintreten, so das IPCC. Dann würden Veränderungen eintreten, die unumkehrbar wären und das selbst dann, wenn die globale Erwärmung später wieder absinke. Nach Ansicht von Matthias Garschagen von der Universität München herrscht in der aktuellen Debatte um den Klimaschutz zu oft die Meinung vor, man könne sich für einen gewissen Zeitraum höhere Erwärmungspfade erlauben, wenn in der Zukunft Technologien für besseren Klimaschutz und „negative Emissionen“ zur Verfügung stehen. Dieses Argument wird mit dem neuen IPCC-Bericht vollständig entkräftet.

Handlungsdruck auf die Politik steigt weiter

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hat ein Papier mit konkreten Maßnahmen vorgelegt, um kurz- und mittelfristig die Krisenvorsorge zu stärken. Das oberste Ziel: Die hohe Abhängigkeit von russischen Importen bei fossilen Energieträgern zu überwinden. Deutschland bezieht 55 Prozent seines Gasbedarfs, rund die Hälfte seines Steinkohlebedarfs und knapp 35 Prozent des Rohöls aus Russland. Zwar gibt es in Deutschland eine strategische Ölreserve, die für einen Zeitraum von 90 Tagen Erdöl und Erdölprodukte wie Kraftstoffe, Heizöl und Kerosin vorhält, allerdings fehlt eine solche Reserve für Gas und Kohle. Habeck will deshalb die Betreiber von Gasspeichern dazu verpflichten, bestimmte Füllstände einzuhalten (Seite 4). Auch bei der Kohle strebt der Wirtschaftsminister nun eine Diversifizierung der Lieferungen und eine Verringerung der Importabhängigkeit an und will gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern die Beschaffung und Reservebildung vorantreiben. Zudem will die Bundesregierung zwei LNG-Importterminals in Deutschland bauen lassen. Die Infrastruktur soll „H2-ready“ sein, damit künftig auch Wasserstoff importiert und über deutsche Gasnetze weitertransportiert werden kann.

Entscheidend für eine höhere Unabhängigkeit von Energielieferungen und die Bekämpfung der Klimakrise ist aber der Ausbau der Ökoenergien. Hier muss Habeck Hemmnisse abbauen, die ihm die Vorgängerregierungen in den Weg gelegt haben. Das kann noch Jahre dauern und für die Bekämpfung des Klimawandels zu spät kommen. „Wir zahlen derzeit den Preis für die verschleppte Energiewende“, meint die Energieökologin Claudia Kemfert vom DIW. Ihrer Meinung nach könnte Deutschland beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die zugleich preissenkend wirken, viel weiter sein.

Nicht nur durch den aktuellen IPCC-­Bericht, sondern auch durch die neuen geopolitischen Entwicklungen wird die Politik zum Handeln genötigt. Für die neue Bundesforschungsministerin, Bettina Stark-Watzinger (FDP), ist der Ausbau der erneuerbaren Energien dabei „der Schlüssel“, der zu „mehr Souveränität bei der Energieerzeugung“ beitragen könne.

Artikel von Kai Eckert
Artikel von Kai Eckert