Neuer Energie-Thinktank: „Klimaschutz mit, nicht gegen die Wirtschaft“

Bislang reines Familienprojekt an dem Friedbert Pflüger, seine Frau und seine Kinder beteiligt sind. Bild: dpa

Es laufe nicht gut mit der Klimapolitik, weil die Erfahrung der Wirtschaft zu wenig einfließe, meint Friedbert Pflüger, der aktuell den Think-Tank „Clean Energy Forum“ aus der Taufe gehoben hat.

Die Erfahrungen der Wirtschaft nutzen, anstatt Klimaschutz gegen wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, will das „Clean Energy Forum“. Friedbert Pflüger und seine Familie haben den Think-Tank Anfang Juli in Berlin gegründet. Pflüger ist mit seinen 68 Jahren eigentlich in einem Alter, in dem die meisten Menschen eher über den Ruhestand als über ein neues berufliches Projekt nachdenken. Zwei berufliche Leben hat er hinter sich: Von 1981 bis 2006 hat er für die CDU Politik gemacht. Bis 1989 erst in der Berliner Senatskanzlei und anschließend im Bundespräsidialamt. Er hat in der Zeit sehr eng mit dem regierenden Bürgermeister von Berlin und ab 1994 mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker zusammengearbeitet. 1990 bis 2006 saß Pflüger im Bundestag und war von 2005 bis 2006 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Sein Versuch, in Berlin für die CDU Regierender Bürgermeister zu werden und den Landesvorsitz der Partei zu übernehmen, ging so gründlich schief, dass er im Grunde 2008 aus der Politik ausschied, obwohl er noch bis 2011 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses war.

Er startete anschließend eine zweite sehr vielfältige Karriere als strategischer Berater, Lobbyist – mit Energie als einem Schwerpunkt. Zudem war er Gastprofessor am King’s College in London und ist Direktor von EUCERS, einem Institut für Klima- und Energiesicherheit, das an die Uni Bonn angegliedert ist. Mit seiner Beratungsgesellschaft Pflüger International hat er unter anderem an Projekten im irakischen Kurdistan gearbeitet. In Medienberichten wird ihm seine Beratungs- oder Lobbytätigkeit für Gazprom vorgeworfen: „Klimaschutz statt Gazprom“ titelte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ denn auch anlässlich der Präsentation des neuen Think-Tanks. Eine zumindest eindimensionale Sicht, zumal seine Aktivitäten vor allem für Nord Stream 2 nie klandestin erfolgten. Er hat aber auch andere Mandate. Stolz ist er auf seine Beratungstätigkeit für die albanische Regierung im Zusammenhang mit dem Bau der Trans Adriatic Pipeline (TAP) von der griechisch-türkischen Grenze bis nach Süd­italien. Pflüger hat zudem in den vergangenen Jahren mit den Energiegesprächen im Reichstag nicht nur eine Plattform geschaffen, die von allen Berliner Energielobbyisten und Unternehmensvertretern gerne und gut besucht wird, sondern ein Forum, das einen breiten Meinungsaustausch über Fragen von Energiepolitik und Klimaschutz ermöglicht. Mit Robert Habeck oder Jürgen Trittin wurde in verschiedenen der mittlerweile 160 Gespräche in den vergangenen 14 Jahren genauso intensiv diskutiert, wie mit CDU-Politikern, Unternehmensmanagern und Verbandsvertretern. Auch das Spannungsfeld der Themen ist breit.

Die Mehrheit an Pflüger International (zuletzt nach dem Einstieg von Holger Bingmann: „Bingmann Pflüger“) wurde im vergangenen Jahr an Joachim Lang verkauft. Lang, vorher fünf Jahre Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), hat das Unternehmen in Strategic Minds umbenannt. Pflüger ist weiter für Strategic Minds tätig, hat aber mit dem Clean Energy Forum nun auch neue Pläne. Zur öffentlichen Vorstellung des neuen Think-Tanks hatte er ein Buch mitgebracht, das er 1992 geschrieben hat. Als Antwort auf Herbert Gruhls „Ein Planet wird geplündert“ wagte er schon damals in „Ein Planet wird gerettet“ unter anderem die These, die Wirtschaft erkenne den Wachstumsmarkt Nummer eins, den Umweltschutz, und nötig sei ein Ordnungsrahmen „für die Entfesselung marktwirtschaftlicher Kräfte im Dienste der Öffentlichkeit“. Das war zu der Zeit vermutlich zu sehr Sturm und Drang, aber Pflüger treibt in der Tat das Thema um, wie industrielle Kompetenzen und Lösungsansätze zu einem konstruktiven Teil der energie- und klimapolitischen Debatte werden können. Dies – nur am Rande – galt übrigens auch bei seinem Engagement für Nord Stream, bei dem es ganz zentral auch um die Frage ging, wie das von Gazprom präferierte und verfolgte Konzept der Methanpyrolyse, also der Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff und festen Kohlenstoff, Teil des klimapolitischen Lösungsraums werden könnte.

„Wir werden mit dem Klingelbeutel herumgehen, um privates Kapital einzusammeln“

Bei der Vorstellung des Clean Energy Forums argumentierte Pflüger denn auch, es laufe nicht gut mit der Klimapolitik, weil in der Diskussion und den Entscheidungen die Erfahrungen der Wirtschaft zu wenig Eingang finden. Diese Lücke will er mit dem Think-Tank nutzen und nannte fünf Punkte, in denen sich die Arbeit von anderen Institutionen unterscheiden soll: Die Erfahrungen der Wirtschaft sollen genutzt werden, die globale und internationale Perspektive wird eine zen­trale Rolle spielen, Anreize, nicht Verbote stehen als Politikinstrument im Mittelpunkt, Erfahrungen aus der Praxis („Best Practise“) will man berücksichtigen und die soziale Akzeptanz von Umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen. Ansonsten, betonte er, entspreche die Satzung der des Think-Tanks Agora Energiewende. Finanziers gibt es noch nicht, bisher handelt es sich um ein reines Familienprojekt an dem Pflüger, seine Frau und seine Kinder beteiligt sind. „Wir werden mit dem Klingelbeutel herumgehen, um privates Kapital einzusammeln“, betonte er. Geplant sind natürlich Studien, aber auch „Erklärveranstaltungen“, wie Pflüger es nannte, die sich nur an eine spezialisierte Fachöffentlichkeit richten. Thematisch wird Clean Energy Forum sich vermutlich auch Themen widmen, die von weiten Teilen der Institutionen, die für die umwelt- und klimapolitische Debatte prägend sind, eher skeptisch gesehen werden. Dafür stehen wohl auch die Personen, die mit Pflüger den Think-Tank vorstellten. Für Franz Josef Rademacher, dem Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung ist Carbon Capture and Storage (CCS) ein wichtiger Lösungsansatz, um Entwicklungsländern Entwicklung zu ermöglichen ohne Klimaschutzziele zu gefährden. Die ehemalige niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn hat 1980 einmal das deutsche Greenpeace Büro mitgegründet. Heute ist sie unter anderem Vorstandsvorsitzende der europäischen eFuel Alliance. E-Fuels sind – wie auch deutsche Diskussionen vor einigen Wochen gezeigt haben – klimapolitisch eher ein Reizthema, wenn es nicht um Flugzeuge geht. Jorgo Chatzimarkakis streitet als Vorstandsvorsitzender von Hydrogen Europe, dem europäischen Wasserstoffverband, für eine möglichst breite Wasserstoffanwendung mit vielfachem Farbspektrum. Sie alle sind ordentliche Mitglieder des vierzehnköpfigen beratenden Kuratoriums. Vorsitzende ist Barbara Lempp, die langjährige Geschäftsführerin des Händlerverbandes EFET Deutschland. Sie ist seit kurzem in der Geschäftsführung von ecotec, einem kleinen Spezialisten für die energiewirtschaftliche Beratung von mittelständischen Unternehmen. Die Berücksichtigung des Mittelstandes und Sicherung des Wohlstands bei klimapolitischen Maßnahmen sind ihr wichtig. Die erste Kurzstudie hat Pflüger selbst geschrieben: „IRA – Klimawunderland USA?“ lautet der Titel. In elf Thesen erläutert Pflüger wie der Inflation Reduction Act (IRA) merkantilistische Politik, Wirtschafts- und Strukturförderung mit einer einfachen, breit angelegten Förderung CO2-vermeidender Strategien verbindet. Zwei seiner Schlussfolgerungen: Die EU sollte eine weitgehende Integration in den Geltungsbereich des IRA anstreben; auch Europa „kann Tax Credits“, steuerliche Abschreibungen von Ausgaben für klimafreundliche Technologien sollten ohne eine Vorgabe der anzuwendenden Techniken als Instrument eingesetzt werden.

Während der Auftaktveranstaltung fielen wiederholt von den Kuratoriums­teilnehmern die Worte „Dialog“ und „Diskussion“. Dies ist zum Beispiel für Wolfram Axthelm ein zentrales Motiv für seine Mitgliedschaft in dem Kuratorium. Der Dialog wird vermutlich nicht ganz einfach. Pflüger und seinem neuen Think-Tank dürfte sehr schnell vorgeworfen werden, Industrieinteressen und damit die Verlängerung konventioneller, CO2-emittierender Geschäftsmodelle zu vertreten. Der Branchenverband Zukunft Gas erfährt dies gerade leidvoll. Heftige Attacken organisieren einige Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die dem Verband nicht abnehmen, an einer Transformation von Erdgas zu erneuerbaren Gasen und Wasserstoff ernsthaft zu arbeiten. Der Verband inszeniere sich lediglich als Fürsprecher „neuer Gase“, so ein Vorwurf von Lobbycontrol, einer der NGOs, die Zukunft Gas angreifen. Pflüger kennt die Debatte gut, er ist Aufsichtsratsvorsitzender des Verbandes. Er weiß auch, dass sein Clean Energy Forum mit den gleichen Vorwürfen rechnen muss, sieht sich aber gut gerüstet. Vor allem durch die Diversität seines beratenden Kuratoriums. So ist der erwähnte Wolfram Axthelm Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE). Auch Alexander Voigt, ein Multi-Gründer von Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien, soll dafür garantieren, dass es um die Rettung des Planeten mit der Industrie und nicht um die Rettung der Industrie statt der Rettung des Planeten geht: „Bei der ersten Sitzung des Kuratoriums wurde sehr kontrovers diskutiert“, gab Axthelm einen kleinen Eindruck in das Innenleben des neuen Think-Tanks.

Ach ja, auch die Energiegespräche im Reichstag wird Pflüger unter dem Dach des Clean Energy Forums fortsetzen.

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Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann