Neste-Interview: „Das hohe Dekarbonisierung-Potenzial von HVO-Reinkraftstoff sichtbar machen“

Jörg Hübeler, Leiter Marktentwicklung bei Neste in Deutschland. Bild: Neste

Als Blend-Komponente etwa für B7-Diesel sind HVO-Kraftstoffe von Neste schon lange im deutschen Markt verfügbar. Im vergangenen Jahr hat sich der finnische Öl- und Biokraftstoffkonzern aber entschieden, vor allem mit dem Produkt „Neste MY Renewable Diesel“ als Marke für den HVO-Reinkraftstoff des Unternehmens sichtbar an den Markt zu gehen, wie der Leiter Marktentwicklung bei Neste in Deutschland, Jörg Hübeler, im Gespräch mit dem EID betonte. „Unser Fokus liegt nun darauf, den HVO-Kraftstoff in der Reinform anzubieten und die technischen Vorteile sowie das hohe Dekarbonisierungs-Potenzial des Produkts sichtbar zu machen.“

EID: Herr Hübeler, bei Ihrem Produkt „Neste MY Renewable Diesel“ handelt es sich um einen HVO bzw. genauer um HVO100-Kraftstoff, also reines so genanntes Hydriertes Pflanzenöl (Hydrotreated Vegetable Oil) … 

Hübeler: Richtig, „Neste MY Renewable Diesel“ ist die Marke des erneuerbaren Reinkraftstoffs von Neste, mit der wir im April 2022 in den Markt gegangen sind. Der Kraftstoff war bzw. ist bereits in den nordischen Staaten, in Belgien oder den Niederlanden verfügbar – und jetzt auch in Deutschland.

EID: Was sind die Ausgangssubstanzen für den Produktionsprozess bei Neste?

Hübeler: Wir gewinnen den Kraftstoff aus einer biogenen Ausgangsmasse. Zu über 90 Prozent handelt es sich dabei um Abfall- und Reststoffe, 2022 waren es 95 Prozent. Wir nutzen also nicht die klassische Anbaubiomasse wie Mais. Bei RME (Rapsmethylester) und FAME findet ein Umesterungsprozess statt, bei unserem Produkt handelt es sich um ein HVO, gewonnen aus mit Wasserstoff behandelten Abfall- und Reststoffen. Die Produktkategorien lassen sich auch über die technischen Eigenschaften abgrenzen. Wir sehen in unserem Kraftstoff in Reinform gegenüber FAME bzw. RME eine überlegene Produktqualität.

EID: Worin genau liegen solche Qualitätsvorteile?

Hübeler: Die Vorteile sind vielfältig. Wir arbeiten beispielsweise mit der Firma Liebherr zusammen, welche die Erstbefüllung ihrer ausgelieferten Maschinen und Fahrzeuge auf unseren Kraftstoff umgestellt hat. Ein Grund dafür ist, dass Neste MY Renewable Diesel sehr lange gelagert werden kann und die Geräte, wenn sie bei den Kunden ankommen, auch nach längerer Standzeit problemlos anspringen. Hintergrund ist u.a., dass wir keine Sauerstoffbindung in dem Kraftstoff haben, was Probleme wie etwa die Dieselpest verhindert. Liebherr deckt auch den internen Werksverkehr mit unserem Reinkraftstoff ab.

EID: Welche Rolle spielt Palmöl für Ihren Produktionsprozess? 

Hübeler: Palmöl wurde bzw. wird von Neste in der Kraftstoffproduktion eingesetzt. Allerdings werden wir bis Ende dieses Jahres komplett aus Palmöl aussteigen. Die Neste-Kraftstoffmengen, die nach Deutschland gelangen, sind aber ohnehin schon palmölfrei. Damit treten wir auch der „Tank gegen Teller-­Diskussion” entgegen, wir werden uns ausschließlich auf Abfall- und Reststoffe fokussieren.

Zudem ist alles, was wir als Abfall- und Reststoff verwenden, ISCC-zertifiziert. Wir lassen außerdem auch Nachhaltigkeits-Audits und Zertifizierungen bei unseren Lieferanten durchführen. Neste zertifiziert damit im Prinzip also auch das Palmöl, das eingekauft wird, als nachhaltig. Dennoch, wie gesagt, haben wir uns dafür entschieden, bis Ende 2023 komplett aus der Palmöl-Option auszusteigen.

EID: Sie erwähnten bereits die „Teller gegen Tank“-Debatte, in der sich HVO100 etwa von den aus Anbau-Biomasse gewonnenen Kraftstoffen abhebt. Eine weitere Konkurrenz-Technologie sind E-Fuels. Welche Vorteile sehen Sie hier für Ihren Kraftstoff?

Hübeler: Wir halten die Differenzierung zwischen HVO und E-Fuels für wichtig – vor allem deshalb, weil HVO-Kraftstoffe auf Rohstoffen und Produktionskapazitäten basieren, die sofort einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland leisten können. Alles, was an weiterem Aufbau im Erneuerbaren-Bereich stattfinden kann, seien es Power-to-Liquids oder E-Fuels, ist gut und wichtig, aber es wird Zeit brauchen, bis diese Alternativen verfügbar sind.

 

"Es handelt sich bei HVO keinesfalls um eine Nische"

 

EID: Wie groß ist das Mengen-Potenzial bei den Abfall- und Reststoffen – mit Blick auf die reine Rückstands-Verwertung?

Hübeler: Wir sehen bei den verfügbaren Abfall- und Reststoffen ein jährliches Potenzial von rund 40 Millionen Tonnen pro Jahr. Zugleich gehen wir davon aus, dass die gesamte weltweite HVO-Produktionskapazität bis 2025 auf rund 30 Millionen Tonnen ansteigen wird. Man kann den erwarteten Anstieg im Bedarf und in der Produktion also mit den bereits jetzt identifizierten Rohstoff-Pools abdecken. 

Mit Blick in die Zukunft erwarten wir allerdings, dass durch Weiterentwicklungen, an denen die Branche arbeitet, über diesen bislang identifizierten Rohstoff-­Pool hinaus biogene Kraftstoffe bis 2040 etwa 1 Milliarde Tonnen Rohöl ersetzen können. Das macht etwa 40 Prozent des weltweiten Bedarfs im Transport aus. Es handelt sich bei HVO also keinesfalls um eine Nische. Konkret konzentrieren auch wir bei Neste uns intensiv darauf, weitere innovative Rohstoffe zu erschließen, etwa durch die Nutzung von Algen, die extrem schnell nachwachsen. 

EID: Was bedeutet für Flottenbetreiber die Nutzung von HVO100 finanziell – im Vergleich zum Literpreis bei fossilem Diesel? 

Hübeler: Neste selbst verkauft Kraftstoffe nicht direkt im deutschen Markt. Wir arbeiten mit Vertriebspartnern zusammen. Wir sehen aber aus anderen Märkten, dass ein Mehrpreis von rund 30 Cent pro Liter – grob geschätzt – als realistisch gesehen werden kann. Das hängt natürlich stark von den unterschiedlichen Markthintergründen ab.
Zu bedenken ist dabei immer, dass man über unseren HVO100-Kraftstoff im Vergleich zu anderen Methoden kostengünstig, schnell und effektiv dekarbonisieren kann. Letztlich hinkt der Vergleich zum fossilen Kraftstoff, da die Dekarbonisierung nun einmal der Weg ist, für den sich unsere Gesellschaft entschieden hat. Und nicht zu dekarbonisieren, können wir uns nicht leisten – wie wir das bereits bei jüngeren Ereignissen etwa im Ahrtal sehen.

Hintergrund: Der finnische Ölkonzern und Hersteller von erneuerbaren Kraftstoffen und Rohstoffen für die Chemie- und Kunststoffindustrie, Neste, verfügt in Europa über Raffinerien im finnischen Porvoo sowie in Rotterdam, wo derzeit die Kapazitäten zudem erweitert werden. Weltweit existiert darüber hinaus ein Raffinerie-Joint Venture in den USA, zudem betreibt Neste eine Raffinerie in Singapur. Die Produktions-Kapazitäten für erneuerbare Produkte insgesamt sollen bei Neste von aktuell rund 3,3 Millionen bzw. noch in diesem Jahr 4,5 Millionen auf 6,8 Millionen Tonnen im Jahr 2026 mehr als verdoppelt werden. Für den deutschen Markt setzt das Unternehmen insbesondere auf die Nähe zum Standort Rotterdam und die gute Infrastruktur in Deutschland.

Bild: Neste

EID: Wie macht sich der Neste-HVO-Reinkraftstoff im Kostenvergleich mit der Elektromobilität?

Hübeler: Das ist stark abhängig vom Einsatz – etwa bei LKWs oder bei Stadtbussen – und der Strecke, die gefahren wird. Wir haben eine Studienkalkulation erstellt für eine LKW-Flotte, bei der wir grob abschätzen konnten, dass wir bei einem Sechstel der Kosten die doppelte Menge dekarbonisieren können. Das hängt aber damit zusammen, welcher Energiemix dabei unterstellt wird. Der aktuelle Strommix in Deutschland ist noch recht CO2-belastet – durch die Nutzung von Kohlestrom. Deshalb kann man nicht nur die Emissionen am Auspuff heranziehen, sondern muss auf die Gesamtbilanz schauen. Und da gilt, dass unser Versprechen von 90 Prozent CO2-­Reduktion sich auf die gesamte Entstehungskette des Kraftstoffs von der Rohstoffgewinnung bis zur Verwendung erstreckt.

EID: Nach bisheriger Rechtslage, die sich nun ändern soll, waren bzw. sind laut der 10. BImSchV HVO100-Kraftstoffe nur für Züge und bestimmte Maschinen einsetzbar. Ansonsten gibt es eine Ausnahmeregelung für Kommunen, die den Kraftstoff etwa im ÖPNV, bei der Müllabfuhr oder sonstigen Nutzfahrzeugflotten einsetzten dürfen. Wie stark haben diese Akteure HVO100 bereits genutzt? Sind bei der Bahn bereits signifikante Mengen im Einsatz? Welche Absatzentwicklung erwarten Sie bei diesen Zielgruppen für die Zukunft?

Hübeler: Richtig, im ÖPNV, in Linienbussen, bei der Müllabfuhr etc. konnte und kann HVO100 bereits eingesetzt werden. Und insbesondere die Kommunen sind für ihre Flotten-spezifischen Vorgaben zur Emissionsreduktion hohen Erwartungen ausgesetzt. Besonders interessant ist für kommunale Akteure, dass die erwähnte Einsparung von 90 Prozent CO2 in den Flotten ganz ohne Investitionen in die Infrastruktur, die Tankstruktur oder etwa Änderungen von Fahrplänen oder Einsatzmustern erreicht werden kann. E-Busse hingegen brauchen gewisse Zeiten zum Laden. 

Mit Kommunen haben wir bereits Pilotprojekte gestartet, wo auch die ersten Anwendungen laufen, aber natürlich ist das noch im Aufbau befindlich. Unser Anliegen ist es jetzt, aufzuzeigen, dass wir mit unserem HVO-Reinkraftstoff Produktions- und Industriekapazitäten im industriellen Maßstab bieten können.

Ein weiteres Einsatzfeld ist der Bahnverkehr. Da ist HVO eine wichtige Komponente, die nach wie vor dieselbetriebenen Loks zu dekarbonisieren. Wir sind darüber hinaus im Bereich der erneuerbaren Flugkraftstoffe (SAF) aktiv und stehen mit verschiedenen Airlines in Kooperation. Hinzu kommen Abnehmer aus der Kunststoffindustrie. In den dort verwendeten Rohölprodukten werden unsere Produkte als Drop-in-Lösungen eingesetzt.

EID: Die Bundesregierung hat jüngst also angekündigt, dass die bisherige Eingrenzung der Anwendungsmöglichkeiten für HVO100-Kraftstoffe – ebenso wie bei E-Fuels – aufgehoben werden soll. Bislang war Ihr Absatzmarkt auf kommunale Flotten bzw. landwirtschaftliche oder industrielle Mobilitäts-Anwendungen beschränkt. Ist mit Blick auf Mengen und auch aus technischer Sicht auch der Einsatz beim PKW in der Masse denkbar? 

Hübeler: Zunächst einmal ist der Einsatz im PKW technisch möglich, wir haben die Freigaben von allen namhaften OEMs dafür. Neste MY Renewable Diesel ist ohne Änderungen in jeglichen Motoren einsetzbar. In den Niederlanden beispielsweise können Sie „Neste MY Renewable Diesel“ an der öffentlichen Tankstelle bereits kaufen. Der Einsatz hängt letztlich immer davon ab, welche Lösung zur Dekarbonisierung im jeweiligen Markt gewollt ist. Wenn Sie nach Kalifornien blicken, gibt es dort eine gänzlich andere Incentivierung für diese Kraftstoffe. Auch in Deutschland müssen noch Antworten gefunden werden. Uns geht es im ersten Schritt darum, das Verständnis dafür zu schaffen, was mit dem Kraftstoff jetzt schon machbar ist. Der Fokus liegt derzeit noch auf Kraftstoffen für Schwerlastanwendungen oder Anwendungen, die sich sonst schwer elektrifizieren lassen. Wir setzten aber sehr darauf, dass die jüngst angekündigten rechtlichen Erleichterungen nun auch zeitnah umgesetzt werden. 

EID: Herr Hübeler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Artikel von Dominik Heuel
Artikel von Dominik Heuel