Nord Stream 2: Eine Frage der Energiesouveränität

Installation der Molchschleusen auf der Nord Stream 2-Baustelle in Lubmin. Bld: Nord Stream 2, Paul Langrock

Mit einem neuen Gesetz, das Unternehmen und Personen mit Sank­tionen bedroht, wollen die USA den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 doch noch verhindern. Hierzulande wird dies als „Eingriff in die Souveränität“ kritisiert. Doch wie auf die Sanktionen reagieren?

Am 4. Juni 2020 haben der republikanische Senator Ted Cruz und die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen eine neue Gesetzesinitiative zur Verhinderung des Baus von Nord Stream 2 auf den Weg gebracht. Einige weitere Mitglieder des Senatsausschusses für Auswärtige Beziehungen unterstützten diese Initiative. Das Gesetz trägt den Namen „Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act of 2020“ (PEESCA).

Mit dem ursprünglichen Gesetz zum Schutz der europäischen Energiesicherheit wurde Ende 2019 der Bau der Nord Stream 2 effektiv zumindest vorübergehend zum Stillstand gebracht. In PEESA wurden alle Unternehmen und Personen mit Sanktionen in den USA bedroht, die Schiffe für die Verlegung von Pipelines in einer Wassertiefe von mehr 100 Fuß (30 Meter) für die Projekte Nord Stream 2 oder TurkStream zur Verfügung stellen. Auch PEESA hatte Cruz maßgeblich initiiert. Der Senator hatte in einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden der Allseas Gruppe, Edward Heerema, klargemacht, dass das Unternehmen existenzbedrohenden rechtlichen und ökonomischen Sanktionen ausgesetzt werde, sollten die Arbeiten auch nur einen Tag nachdem Präsident Donald Trump das Gesetz unterzeichnet hatte, fortgesetzt werden. Der Brief ist auf der Internetseite von Cruz veröffentlicht und ein Dokment rücksichtslosen Machtgebrauchs. Das Gesetz hat Trump am 19. Dezember 2019 unterschrieben. Die beiden Verlegeschiffe von Allseas wurden dann auch sofort von dem Projekt abgezogen. Selbst Rohre, die sich schon an Bord befanden, wurden nicht mehr verlegt, sondern in den Hafen Mukran auf Rügen zurückgebracht. Dort befindet sich der Lagerplatz für die noch zu verlegenden Rohre. Seitdem ruhen die Arbeiten.

Tägliche Routenverfolgung der Akademik Chers­kiy

Ab Januar wurde dann für viele Beobachter der tägliche Blick auf die Internetseite „Vesselfinder“ zur täglichen Pflicht. Die Seite zeigt Schiffspositionen. Zu verfolgen war die Route der Akademik Chers­kiy, eines russischen Schiffes zur Verlegung von Pipelines. Es lag im Osten Asiens und fuhr dann bis Mai von dort einmal um Afrika herum bis in die Ostsee. Es liegt seitdem im Hafen von Mukran. Das Schiff ist grundsätzlich geeignet, die Verlegearbeiten durchzuführen. Allerdings muss es für die erforderlichen Schweißarbeiten technisch nachgerüstet und dann zusätzlich versichert werden.

Die Projektgesellschaft Nord Stream 2 hat nie offiziell bestätigt, dass geplant ist, mit der Akademik Cherskiy die noch fehlenden rund 150 Kilometer Pipelines zu verlegen. Sie wusste, warum, denn in den USA wurden die Vorgänge in der Ostsee genau verfolgt. Mit der Gesetzesinitiative von Anfang Juni sollen die Sanktionen deutlich ausgeweitet werden. Nun sollen auch Personen oder Unternehmen mit Sanktionen belegt werden, die im weitesten Sinne die Verlegearbeiten unterstützen. In dem Text von PEESCA 2020 sind Arbeiten wie die Vorbereitung des Bodens, die Überwachung oder das Beseitigen von Steinen genannt. Zudem wird mit Sanktionen bedroht, wer Verlegeschiffe versichert oder nachrüstet. Ferner müssen Unternehmen, die vorbereitende Maßnahmen für den Betrieb, wie Tests oder Zertifizierungen vornehmen, mit Sanktionen in den USA rechnen. Die können sich gegen Vermögensgegenstände der Unternehmen in den USA richten, aber auch gegen leitende Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zum Beispiel in Form von Visa-­Verweigerungen und Einreisebeschränkungen.

Hohe Unsicherheit schafft die Initiative, weil die neuen Sanktionen rückwirkend von dem Tag an gelten sollen, an dem PEESCA in Kraft trat. 120 Unternehmen aus mehr als zwölf europäischen Ländern könnten betroffen sein, hat die Branchen­initiative Zukunft Erdgas gezählt. Auch der Bürgermeister von Sassnitz, Frank Kracht, könnte in Zukunft auf einen USA-Aufenthalt verzichten müssen. Der Stadt Sassnitz auf Rügen gehören 90 Prozent des Hafens in Mukran, in dem die Rohre und Verlegeschiffe liegen. Angeblich erweist sich bereits jetzt die adäquate Versicherung der Akademik Chers­kiy als schwierig.

Die Aufregung in Deutschland und Europa scheint größer zu sein als im Dezember. Es wird doch sehr deutlich, mit welcher Konsequenz (man könnte auch von Rücksichtslosigkeit sprechen) die Amerikaner mit solchen extraterritorialen Sanktionen ihre Interessen im Grunde ohne Rücksichtnahme auf verbündete Staaten und ihre Souveränität durchsetzen. Am 1. Juli hatte der Wirtschaftsausschuss des deutschen Bundestages dazu eine Anhörung organisiert. Schon der Titel der Anhörung zeigte worum es ging: „Sicherung der Souveränität deutscher und europäischer energiepolitischer Entscheidungen“. Die Anhörung machte im Grunde dreierlei deutlich:

• Die Sanktionen können, wenn sie denn wirklich Gesetz werden, die Fertigstellung des Projektes ernsthaft gefährden.
• Kurzfristig gibt es im Grunde keine wirksamen Gegenmaßnahmen.
• Mittelfristig müssen Deutsch­land und Europa Strukturen entwickeln, die es unabhängiger von solchen Aktionen machen. „Resillienz“ war ein häufig benutztes Schlagwort.

„Schwerer Eingriff in die Souveränität der EU“

Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sprach in seinen einleitenden Worten von einem „schweren Eingriff in die Souveränität der EU“ durch die Sanktionen. Es sei absurd, dass der US-Kongress als Regulator europäischer Fragen auftritt. Thomas Bareiß, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, malte ein mögliches Ende des Projektes an die Wand: „Die Sanktionen könnten die Inbetriebnahme auf Dauer verhindern.“ Dies sei ein einmaliges Vorgehen in der transatlantischen Partnerschaft. Aber keiner der geladenen Experten konnte einen Weg aufzeigen, wie diese Sanktionen kurzfristig wirksam verhindert werden könnten oder die Unternehmen gegen die Wirkungen abzuschirmen seien. Konkret war der Appell an die Parlamentarier, das Gespräch mit den US-­amerikanischen Kolleginnen und Kollegen zu suchen, um die weitreichenden Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis deutlich zu machen. Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses unterstrich, die diplomatischen Mittel seien noch nicht ausgeschöpft. „Ich plädiere sehr dafür, dass sich der Bundestag vor allem an die Kolleginnen und Kollegen im Repräsentantenhaus wendet“, so Harms wörtlich. Auch die EU-Botschaft in den USA müsse aktiver werden.

Lediglich Gerhard Schröder für Gegensanktionen

Gegensanktionen befürwortete allein der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als Ex­perte geladen war. Allerdings wollte oder konnte er auf die Frage, was denn geeignete Gegensanktionen wären, auch keine Antwort geben. Die anderen Experten warnten vor einer Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen.
Sehr klar waren alle geladenen Experten auch in der Einschätzung, dass europäische Abwehrmaßnahmen wie die so genannte Blocking-Verordnung, die gegen die extraterritorialen Maßnahmen der USA wirken sollen, nicht wirklich erfolgreich sind: „Die Bloc­king-Verordung hält Unternehmen in einem Gesetzeskon­flikt gefangen. Sie müssen entschei­den, ob sie gegen US-­ame­ri­kanisches Recht oder gegen europäisches Recht verstoßen“, argumentierte Felix Helmstädter von der Anwaltskanzlei Morrison & Foerster. Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag wies darauf hin, es gebe mögliche Handelsschutzinstrumente der EU, aber ob die wirklich in diesem Fall anwendbar seien, wisse er auch nicht. „Wir müssen aber schärfere Waffen ins Schaufenster stellen“, so Treiers Plädoyer. Er konzedierte aber, dies bringe keine schnelle Lösung.

Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik nannte es ein mögliches Drama, wenn es nicht gelinge, Energiesouveränität gemeinsam zu behandeln. Dies müsse gegenüber China, den USA und Russland geschehen. Das Problem sei grundsätzlicher als nur Nord Stream 2. Europa befinde sich als Figur auf einem Schachbrett in der Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Diese Aus­ein­andersetzung sei kein Trump-spezifisches Thema, betonte sie. Wie man in der Situation die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähig halten kann, sei ein wichtiger Punkt. Sowohl etliche Abgeordnete als auch die anderen Experten stimmten dieser Einschätzung zu. Wie aber Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit (Resillienz) faktisch gesichert werden kann, blieb dann doch weitgehend offen. Nord Stream 2, da wurde dann Westphal konkret, sei für Europa wichtig, weil sie eine von vielen Optionen sei. „Energiesouveränität bedeutet, dass wir viele Optionen benötigen“, erläuterte sie.

Nur am Rande: Um die Einladung von Gerhard Schröder als Experten, gab es einigen Wirbel. Klaus Ernst, von der Partei die Linke, der Vorsitzende des Ausschusses, hatte den Bundeskanzler a.D. geladen. „Halten Sie es für sinnvoll, dass wir die Anhörung so politisieren, dass Gerhard Schröder als Kreml-Lobbyist hier in der Runde durch die Linke befragt wird?“  fragte Reinhard Houben, Sprecher der FDP in dem Ausschuss. Der „Almauftrieb“ der Presse zu der Anhörung dokumentiere diese Politisierung. Schröder ist Vorsitzender des Nord Stream 2 Verwaltungsrates und Vorsitzender des Aufsichtsrats des russischen Gas- und Ölproduzenten Rosneft.

Jenseits der umstrittenen Bewertung des Auftrittes von Schröder brachten alle Mitglieder des Ausschusses ihre Sorgen über die extraterritorialen Sanktionen zum Ausdruck, ganz unabhängig davon, wie das Projekt energiewirtschaftlich und energie­politisch eingeschätzt wird. Es bleibt nun abzuwarten, ob PEESCA den Weg in das US-amerikanische Gesetzesblatt schafft. Die vom Bundestagsausschuss geladenen Experten halten dies für durchaus wahrscheinlich.

Ein Hoffungsschimmer kommt aus Dänemark

Am 6. Juli gab es dann einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Projektgesellschaft Nord Stream 2. Die dänische Energie-­Agentur hat an dem Tag einem Antrag der Projektgesellschaft stattgegeben, anstelle von Verlegeschiffen mit einem automatischen System zur Positionierung, Schiffe mit einem Anker zu nutzen. Dadurch könnte ein zweites russisches Verlegeschiff eine größere Rolle spielen. Die Fortuna liegt schon seit längerem in der Ostsee und hat auch schon Arbeiten für Nord Stream 2 im flachen Gewässer ausgeführt. Sie verfügt nicht über das bisher von der dänischen Behörde geforderte automatische Positionierungssystem. Allerdings ist unklar, ob das Schiff geeignet ist, ohne weitere Hilfe die Rohre in tiefen Gewässern zu verlegen.

Zudem muss man sehen, wie US-Senator Ted Cruz und seine Unterstützer reagieren. Äußerungen von Cruz machen deutlich, wie heftig sein Widerstand gegen Nord Stream 2 ist: „Es gibt unter beiden Parteien und in beiden Häusern des Kongresses einen Konsens, dass Russlands Nord Stream 2 eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA darstellt und die Fertigstellung verhindert werden muss.“ Dabei war er bisher ziemlich erfolgreich und hartnäckig.

Am 15. Juli hat die US-Administration ein älteres Sanktionsgesetz gegen Nord Stream 2 scharf geschaltet. Damit könnte es sehr schnell zu neuen Sanktionen kommen. Die genauen Wirkungen waren zum Redaktionsschluss noch nicht absehbar.

 

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Artikel Redaktion EID
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