Biogas-Branche: „Weiter machen!“

Die Interessen der eher landwirtschaftlich geprägten Biogas-Protagonisten und der eher industriell und energiewirtschaftlich geprägten Biomethanwirtschaft sind mitunter nicht deckungsgleich. Bild: VNG Balance

Ein Jubiläumsband, den der Fachverband Biogas anlässlich seines 30sten Geburtstages herausgegeben hat, versammelt neben Fachbeiträgen, die nicht zuletzt das Ringen der Branche mit der Politik dokumentieren, auch annähernd 20 Porträts von Protagonisten der Branche.

Biogas und Biomethan sind so etwas wie die „Schmuddelkinder“ unter den erneuerbaren Energien. Das Zitat „Weiter machen“ ist der fast trotzige Titel eines kleinen Jubiläumsbandes, den der Fachverband Biogas anlässlich seines 30sten Geburtstages herausgegeben hat. Die generellen Einschätzungen zur Rolle von Biogas und Biomethan bei der CO2-neu­tralen Energiegewinnung changieren zwischen großen Potenzialen sowie dem Verweis auf die Grundlastfähigkeit sowie die Bedeutung für die Entwicklung dezentraler Energiequellen im ländlichen Raum und teuerster Energiegewinnung aus regenerativen Quellen, begrenzten Potenzialen und der immer vorhandenen „Tank gegen Teller“ Diskussion. Vom „Klima-Heilsbringer zum Subventionsdesaster“ titelte der „Spiegel“ noch im März. Auch in dem Jubiläumsband wird in dem historischen Rückblick der Artikel als ein Beispiel dafür erwähnt, dass Biogas weder in der Politik noch in den Medien in den letzten 30 Jahren „Everybodys Darling“ war. 

Biogas als Substitut für russisches Gas?

Dass der Geburtstag des Fachverbandes in die Zeit des Ukrainekrieges und der Gaskrise fällt, ist Zufall, aber damit stellt sich die Frage dringlicher, welchen Beitrag Biogas und Biomethan als Substitut für russisches Gas leisten können. Horst Seide, der Präsident des Fachverbandes, klagt in seinen Einleitungsworten zu dem Band, dass diese Frage nur auf der europäischen Ebene gestellt wird: „Unsere Potenziale sind nicht klein, und wir haben eine fossile Energiemarktkrise, aber trotzdem will die Politik uns nicht weiter in die Energieversorgung einbinden“, schreibt Seide mahnend. Als Seide das Vorwort schrieb, kannte er das Interview noch nicht, das Jürgen Pöschk, der Leiter der Berliner Energietage, jüngst mit Patrick Graichen geführt hat. Graichen ist beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Das Interview führte Pöschk in der Reihe „Energietage-­Spezial: Orientierungswissen Energiekrise“. Es ist auf YouTube abrufbar. Auf Pöschks Frage, ob denn Biogas einen Beitrag zur Überwindung der Gaskrise leisten kann, sagte Graichen: „Ja, da sind wir dran. Wir werden gesetzgeberisch tätig, damit mehr Biogas und Biomasse in den bestehenden Anlagen verbrannt werden kann. Da besteht ein Potenzial.“ Mittlerweile lässt sich klarer erkennen, wie die Anreize für die Stromproduktion aus Biogas für die Jahre bis 2024 verbessert werden sollen. Anfang September hat das BMWK einen Referentenentwurf zur Änderung energiewirtschaftlicher Gesetze vorgelegt und die Ressortabstimmung gestartet. Teil des Gesetzes­paket sind Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die eine höhere Stromproduktion aus Biogasanlagen ermöglichen. Die Neuregelungen zeigen aber auch die Komplexität der Regelungen. So sollen Anlagen, die vor dem 1. Januar 2012 in Betrieb genommen worden sind und einen Gülle-Bonus gemäß den Vorgaben des EEG 2011 erhalten, diesen Bonus auch dann nicht vollständig verlieren, wenn sie nicht den vorgegeben Mindestanteil an Gülle einsetzen. Dieser Vorschlag dokumentiert, wie komplex die Förderbedingungen sind und wie oft sie sich im Laufe der verschiedenen EEG-Novellen geändert haben. In der Jubiläumsschrift beschreibt der Fachjournalist Bernward Jan­zing, wie sich nach den für Biogas und Biomethan sehr günstigen Förderbedingungen mit einer Vielzahl von Boni die EEG-Regelungen permanent verschlechtert haben. „Mit dem EEG 2021 sinkt der Zubau in den Keller“, schreibt Janzing und verweist auf den Negativrekord von 60 Neuanlagen im Jahr 2021. 

Die zweite temporäre Anpassung des EEG, mit der eine kurzfristige Ausweitung der Biogasproduktion erreicht werden soll, ist die Aussetzung aller Höchstbemessungsleistungen für die Förderung der Stromproduktion bei Biogas – nicht Biomethan –, mit denen die geförderte Menge an produziertem Strom begrenzt wird. Für den Fachverband Biogas ein Schritt in die richtige Richtung. In einer Pressemitteilung vom 7. September weist man aber darauf hin, dass noch andere Hürden im Bundesimmissionsschutzgesetz und im Baugesetzbuch geändert werden müssten. Da geht es wohl unter anderem um Fragen der Lagerung der Rohstoffe. Wenn alle Hürden beseitigt werden, erwartet der Fachverband eine sofortige Ausweitung der Biogasproduktion um 19 TWh.

Mais weiter dominierender Einsatzstoff

Insgesamt gibt es in Deutschland 9.600 Biogasanlagen, die als so genannte „Hofanlagen“ vor Ort Strom erzeugen und die Wärme teilweise nutzen, wie etwa in 100 Bioenergiedörfern. Dazu kommen knapp 240 Biomethananlagen. Bei diesen Anlagen wird das erzeugte Biogas auf Erdgasqualität aufbereitet und in das Erdgasnetz eingespeist. Dadurch sind breitere Anwendungen im KWK-Bereich, im Wärmesektor, bei industriellen Anwendungen und im Verkehrssektor möglich. Insgesamt erzeugen die Biogas- und Biomethananlagen 110 TWh Energie schreibt in dem Band Martin Bensmann, Redakteur des vom Fachverband Biogas herausgegebenen „Biogas Journals“ in seinem Überblicksartikel „Biogas & Landwirtschaft“. Kurzfristig sei eine Verdopplung der Energieproduktion möglich. Und dies, ohne einen einzigen Hektar Mais anzubauen, wie Bensmann betont. Mit dem Schlachtruf einer „Vermaisung von Landschaften“ haben schon vor Jahren viele Gegner der Biogasnutzung ihre Bedenken zusammengefasst. Mais ist nach wie vor der dominierende Einsatzstoff. Für Biomethan gibt es dazu konkrete Zahlen. 2021 wurden, so die Deutsche Energie-Agentur in ihrem Marktmonitoring Bioenergie 2022, energiebezogen 54 Prozent Biomethan aus Mais erzeugt. Allerdings hat in den vergangenen Jahren ein deutliches Umdenken stattgefunden. Thomas Gaul, ein Fachjournalist für Bioenergie, beschreibt in dem Jubiläumsband wie das Management der Stoffströme und die Produktion von Biogas aus Bioabfall funktioniert. 

Jubiläums-Publikation zum 30-jährigen Jubiläum des Fachverbands Biogas. Bild: FVB

Die Potenziale von Rest- und Abfallstoffen für eine Ausweitung der Biogasproduktion sieht auch der BDEW. In einem Positionspapier vom Juni dieses Jahres listet der Energiewirtschaftsverband zehn Punkte auf, mit denen die Einspeisung von Biomethan beschleunigt werden kann. Biomethananlagen speisen aktuell rund 10 TWh auf Erdgasqualität aufbereitetes Biogas in die Gasnetze ein. Der BDEW sieht ein Potenzial von 100 TWh. Wobei ein erheblicher Teil dieses Potenzials durch eine Umstellung dezentraler Biogasanlagen auf eine Einspeisung von Biomethan in das Gasnetz gehoben werden soll. Eine Erleichterung dieser Umstellung ist einer der zehn Punkte.  

Biogas- vs. Biomethan-Branche?

Über das Verhältnis von Biogas zu Biomethan muss man wohl ein Wort sagen. Dezentrale Biogasnutzung ist die viel ältere Technologie. Schon lange vor Gründung des Fachverbandes wurden in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts die ersten Anlagen gebaut. Die erste Biomethananlage ging Ende 2006 in Betrieb. In den dann folgenden Jahren hatten Beobachter schon den Eindruck, dass die Interessen der eher landwirtschaftlich geprägten Biogas-Protagonisten und die der eher industriell und energiewirtschaftlich geprägten Biomethanwirtschaft stark divergierten. Die Biomethanbranche gründete mit dem Biogasrat dann auch 2009 einen eigenen Verband. Teilweise hitzige Debatten der beiden Geschäftsführer Claudius da Costa Gomez (Fachverband Biogas) und Reinhard Schultz sorgten durchaus für höheren Unterhaltungswert bei Veranstaltungen. Der frühere SPD-Bundestags­abgeordnete Schultz war bis Ende 2014 Geschäftsführer des Biogasrates und ist im September 2021 verstorben. Mittlerweile scheint das Verhältnis der Bereiche entspannter zu sein. Christian Dany nennt in seinem Beitrag zum Jubiläumsband „Multitalent & Joker – geplagt von Ungewissheit“ eine Bündelung der Rohbiogasproduktion mehrerer Biogasanlagen und den Transport zu einer zentralen Aufbereitungsanlage als einen Ausweg, um Biogasanlagen effizienter zu nutzen. Bisher gibt es aber nur in Bitburg ein größeres Projekt.

Der Untertitel in dem Beitrag des Fachautors Dany – „geplagt von Unsicherheit“ – fasst im Grunde den Grundtenor des Bandes und die Stimmung der Branche gut zusammen. Zum einen wird mit viel Engagement und Überzeugung an Biogas- und Biomethankonzepten und Weiterentwicklungen gearbeitet. Das bezeugen auch die knapp 20 kurzen Portraits von Protagonisten der Branche in dem Band. Auf der anderen Seite gibt es in der Politik eine starke Zurückhaltung bezüglich der Verwendung von Biomasse. Wirtschaftsminister Robert Habeck drückt dies in seinem Grußwort so aus: „Klar ist aber auch, dass wir mit der Ressource Biomasse nachhaltig und sparsam umgehen müssen“. Abfall- und Reststoffe werden deshalb in Zukunft vermutlich eine noch stärkere Rolle spielen, vorausgesetzt die Stoffströme sind verfügbar.

Ein Blick nach Europa könnte die Biogas- und vor allem die Biomethanindustrie optimistischer stimmen. Bis 2030, so hat es die EU-Kommission im Rahmen ihrer RePowerEU-Strategie angekündigt, soll die Biomethaneinspeisung von derzeit rund 3,5 Milliarden auf 35 Milliarden m3 in der EU steigen.

Politik & Verbände
Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann