Frittenfett oder Bio-LNG auf der Langstrecke

Bild: ViGo Bioenergy

Bio-LNG im Schwerlastverkehr ist ein Nischenmarkt. Dabei fällt die Bilanz bei den klimaschädlichen Emissionen sogar negativ aus, da die eingesetzte Gülle nicht als Dünger ausgebracht wird.

Christian Schneider ist überzeugt: „Im Schwerlastverkehr werden auf der Langstrecke HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) und Bio-LNG die zentralen Dekarbonisierungsoptionen sein“. Und HVO sei nun mal nichts anderes als gebrauchtes „Fritten-Fett“, machte er es im Gespräch mit dem EID plastisch. Schneider ist Geschäftsführer von ViGo Bio­energy. Das Unternehmen bietet CO2- Einsparung im Güterschwerverkehr an, das bedeutet aktuell im Wesentlichen, dass Angebot von Bio-LNG erzeugt wird. Die ViGo ist mit 32 Tankstellen in Deutschland gemeinsam mit Shell Marktführer. Der Absatz beträgt rund 35.000 Tonnen LNG, damit hat Vigo bezogen auf den Absatz nach eigenen Angaben einen Marktanteil von rund 20 Prozent in Deutschland. Auch in den Benelux-Ländern und Großbritannien werden Tankstellen betrieben. Das Unternehmen gehört seit 2021 zu Vitol. „Die Übernahme durch Vitol erleichtert die europäische Expansion“, sagte Schneider. Außerdem ermöglicht die Zugehörigkeit zum globalen Rohstoff- und Energiehändler eine europaweite Beschaffung von Bio-LNG. Wobei ViGo, auch das betont Schneider, Gesamtlösungen zur Einsparung von CO2 im Güterschwerverkehr anbietet. Dazu gehören nicht nur LNG-Lösungen, sondern auch das einfach in Dieselfahrzeugen zu nutzende HVO sowie eine Grünstrom-Versorgung für den Lkw-Verkehr. 

Gegenüber Diesel bietet Bio-LNG aus Gülle eine CO2-Einsparung je Megajoule von 198 Prozent

Der Bio-LNG-Markt im Schwerlastverkehr ist ein Nischenmarkt. Rund 8.000 mit LNG betankte Lkw von hiesigen und ausländischen Spediteuren sind in Deutschland derzeit unterwegs – bei einem Gesamtbestand von rund 3,7 Millionen in Deutschland zugelassenen Lkw. Im Grunde war seit Start des LNG-Marktes im Schwerlastverkehr klar, dass LNG nur dann eine dauerhafte Rolle in dem Markt spielen kann, wenn der Treibstoff eine ernsthafte Dekarbonisierungsoption darstellt. Dies ist in der fossilen Variante nicht der Fall. Zwar fallen deutlich weniger Stickoxide an und die Feinstaubbelastung entfällt fast vollständig. Zudem ist der Lärm eines LNG-Antriebs erheblich niedriger als bei einem Diesel-Lkw. Aber auch ein LNG-Antrieb emittiert CO2 – und nur geringfügig weniger als ein Diesel-Antrieb. 

Anders sieht dies bei Bio-LNG aus Gülle aus, bei dem ein CO2-Kreislauf entsteht. Es wird CO2 der Atmosphäre durch die Pflanze entzogen, die dann als Futtermittel genutzt wird. Die durch Nutztiere entstehende Gülle wird als Rohstoff für die Bio-LNG-Erzeugung eingesetzt. Dadurch werden die klimaschädlichen Emissionen sogar negativ, da die Gülle nicht als Dünger ausgebracht und so kein Methan frei wird, das einen deutlich höheren Treibhauseffekt als CO2 mit sich bringt. Die ISCC-Zertifizierung ist dabei der europaweit geltende Regulierungsrahmen für die Bewertung von Emissionen im Treibstoffsektor. Gegenüber Diesel weist sie eine CO2-Einsparung je Megajoule von 198 Prozent aus. 

Wasserstoff noch lange Zeit nicht zu konkurrenzfähigen Preisen verfügbar

„Bio-LNG-Lkw und die Infrastruktur sind verfügbar, mit einer Reichweite von 1.600 Kilometer sind sie hervorragend für die Langstrecke geeignet“, argumentiert Schneider. Im Langstreckenbetrieb, das heißt bei mehr als 500 Kilometer Fahrleistung in einer Schicht sind für ihn nur HVO-Kraftstoffe als Ersatz für den Dieselkraftstoff im Verbrenner-Motor die Alternative. Wasserstoff werde noch lange nicht zu konkurrenzfähigen Preisen zur Verfügung stehen. Und für batterieelektrische Fahrzeuge bestehen im Langstreckenverkehr große Herausforderungen bezüglich der Ladeinfrastruktur. Nicht nur müsste ausreichende Leistung zur Verfügung stehen, sondern die Bereitstellung ausreichender Ladesäulen auf Raststätten sowie der Laderhythmus seien keine trivialen Aufgaben. 

Die meisten Marktteilnehmer stimmen grundsätzlich zu, dass sowohl Wasserstoff als auch der direkte Einsatz batterieelektrischer Fahrzeuge die beschriebenen Hürden zu überwinden hat. Aber viele sind eben auch überzeugt, dass dies möglich ist und Bio-LNG als Kraftstoff und Antrieb seine eigenen Herausforderungen hat. Der Preis ist eventuell noch die Geringste davon. 

Bio-LNG ist verflüssigtes Biomethan. Gemäß Preisdaten des Dienstleisters agriportance kostet Biomethan aus Gülle, wenn es im Rahmen eines langfristigen (sieben Jahre geltenden) Vertrages bezogen wird, mindestens 8 Cent/kWh. Anfang Januar 2024 waren es noch über 20 Cent/kWh. Biomethan ist in jedem Fall deutlich teurer als Erdgas. Dennoch kann es im Kraftstoffsektor zum gleichen Preis wie Erdgas und günstiger als Diesel angeboten werden, weil durch den Verkauf der THG-Quoten ein notwendiger Zusatzerlös erzielt wird. Die Quotenpreise sind seit Anfang 2023 von über 400 Euro/t auf unter 150 Euro/t gefallen. Aber dank der niedrigen Emissionswerte für Gülle und einer möglichen Doppelanrechnung sind die Zusatzerträge wohl ausreichend, um mit Diesel zu konkurrieren. 

Für Bio-LNG muss nicht der nationale CO2-Preis entrichtet werden

Die LNG-Fahrzeuge sind teurer. Ab 70.000 Kilometern pro Jahr sind bei den aktuellen Preisen für Diesel, CO2, Biomethan und den THG-Quoten die Gesamtkosten für den Halter (Total Cost of Ownership – TCO) für Bio-LNG-Fahrzeuge niedriger als für Diesel-Fahrzeuge, errechnet ViGo. Ein Level-Playing-Field zwischen Diesel und Bio-LNG besteht bei der Maut, beide Antriebsarten sind nicht von der Maut befreit. Aber für Bio-LNG muss nicht der nationale CO2-Preis entrichtet werden. Die TCO für mit HVO betriebene Lkw sind nach den Berechnungen der ViGo-Analysten immer höher als die TCO von Bio-LNG. Langfristig erwartet Schneider deshalb einen wesentlichen Marktanteil für Bio-LNG in dem relevanten Marktsegment im Langstreckenverkehr, den er in Deutschland auf 1 Million Fahrzeuge schätzt. Ein Lkw benötigt 30 Tonnen Bio-LNG. Die Gesamtnachfrage läge dann pro Jahr bei rund 1,8 Millionen Tonnen Bio-LNG, oder in Energieeinheiten: rund 25 TWh Biomethan. 2022 wurden in Deutschland 10,5 TWh Biomethan in 240 Anlagen erzeugt und in das Erdgasnetz eingespeist, davon wurden (energetisch) rund 10 Prozent aus Gülle produziert. Die mehr als 9.000 so genannten „Hofanlagen“ haben rund 70 TWh Biogas zur Strom- und Wärmerzeugung vor Ort erzeugt, 15 Prozent waren davon energetisch Gülle. Die Wirtschaftlichkeit dieser kleinen Anlagen war in der Regel durch die EEG-Vergütung bei der Stromerzeugung gegeben. Die läuft bei vielen Anlagen aus. Die Aufbereitung des Biogases zu Biomethan und die dezentrale Produktion von LNG kann für Anlagen oder Gruppen von Anlagen eine Option sein. Ruhe Biogas, ein Familienunternehmen, betreibt zwei dezentrale Verflüssigungsanlagen. 

Scania hat gerade einen neuen LNG-Motor auf den Markt gebracht – wenn die Kunden den Antrieb wollen, werde man ihn anbieten. Wie man dabei mit dem Thema EU-Flotten­grenzwerte umgehe, müsse man noch sehen ...

 ... sagt ein Sprecher des Fahrzeugherstellers Scania.

Die europäische Biogas-Vereinigung, European Biogas Association, hat im April ihre aktuelle Abschätzung der zukünftigen europäischen Potenziale für die Biogasproduktion veröffentlicht. Bis 2030 könnte sich in der EU die Biogasproduktion von 21 auf 44 Milliarden m3 verdoppeln und bis 2040 auf 111 Milliarden m3 steigen. Für Schneider ist es auch völlig klar, dass Bio-LNG nur auf der Basis eines europäischen Marktes eine Rolle spielen kann. 

Auch in Deutschland ist der Einsatz von ausländischem Biomethan im Kraftstoffsektor seit 2023 möglich. In einem wenig beachteten, aber für den Markt eminent wichtigen Urteil hatte das Finanzgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Verweigerung der Anrechnung ausländischen Biomethans auf die THG-Quote den Regeln des EU-Binnenmarktes widerspricht. Im Grunde eine Selbstverständlichkeit, die aber im Biomethanmarkt lange nicht galt. Aber es gibt Verbesserungen.

Bislang nur rund 20 Verflüssigungs­anlagen in Deutschland

Zugleich ist die Zahl der Verflüssigungsanlagen in Europa noch überschaubar. Die aktuelle europäische Biomethan- Karte des Verbandes Gas Infrastructure Europe (GIE) listet gut 20 Anlagen auf. In Deutschland hat Shell in Godorf die erste Anlage in Betrieb genommen, die nicht direkt an einer Biogasanlage steht. Aufgrund der Massebilanzierung von Biomethan im Gasnetz ist die Versorgung einer Anlage mit Biomethan über das Netz unproblematisch. Einige weitere Projekte sind in Deutschland im Bau oder in der Planung. 

Auch ViGo bezieht Bio-LNG direkt aus der Gasherstellung und massenbilanziell aus diversen europaweiten Quellen, jedoch ausschließlich aus Gülle und Reststoffen, die nach ISCC-zertifiziert sind: „Nur dadurch können wir hohe CO2-Einspareffekte generieren“, betont Schneider. 90 Prozent des bei ViGo getankten LNGs ist mittlerweile Bio-LNG. Der LNG-Kraftstoffmarkt wird in Zukunft vollständig auf Bio-LNG umgestellt werden. Im CNG-Markt, also dem Segment, in dem Erdgas oder Biomethan gasförmig in komprimierter Form eingesetzt wird, beträgt der Biomethananteil schon fast 100 Prozent. Das heißt, Bio-LNG ist als Dekarbonisierungsoption verfügbar, und aus Sicht von Anbietern wie der ViGo ist Bio-LNG im Vergleich mit anderen Optionen preislich konkurrenzfähig. Ob dies in Zukunft so ist, hängt natürlich stark von den Annahmen über die Preis­entwicklung bei Strom, Wasserstoff, CO2, Diesel und HVO ab. 

Aber Bio-LNG wird in der öffentlichen wie auch in der politischen Diskussion kaum als Option wahrgenommen. Das Umweltbundesamt (UBA) hatte 2020 das Öko Institut und den International Council on Clean Transportation (ICCT) mit einer Studie zur möglichen Rolle von LNG bei der Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs in Deutschland beauftragt. Ergebnis: Bio-LNG wäre eine Option, aber die Verfügbarkeit geeigneten Biomethans (Stroh und Gülle) sei zu gering. Zudem stünden andere Optionen zu niedrigeren Kosten bereit. Der Projektleiter Kraftstoffe Ulf Neuling von Agora Energiewende, einem Think Tank, schreibt in seinem Blog Anfang 2023, emissionsfreier Straßenverkehr werde überwiegend batterieelektrisch sein. Auch Vertreter anderer Think-Tanks haben eine klare Präferenz für batterieelektrische Fahrzeuge und gehen davon aus, dass sich die Probleme bei der Lade-Logistik überwinden lassen. 

Das Kostenverhältnis wird sich durch dreifache Anrechenbarkeit von grünem H2 auf die THG-Quote verändern

Von den sechs großen Herstellern, die in Deutschland vertreten sind, bieten DAF, MAN und Daimler Truck keine LNG-Lkw an. Vertreter von Daimler Truck haben auch öffentlich wiederholt gesagt, Wasserstoff sei im Schwerlastverkehr auf der Langstecke dann eine Option, wenn grüner Wasserstoff für 5 Euro/kg an der Tankstelle verfügbar ist. Aktuell kostet der grüne Wasserstoff an der Tankstelle 11,50 Euro/kg. Das wird sich aber ändern, da Wasserstoff in Zukunft dreifach auf die THG-Quote angerechnet werden kann. Bleibt für Daimler Truck der batterieelektrische Antrieb als Option. Was fehlt sind die entsprechende Ladeinfrastruktur und eine ausreichende Kapazität im vorgelagerten Netz.

Seit dem 9. Februar dieses Jahres gibt es für die Hersteller ein weiteres Argument gegen das Angebot von LNG-Lkw. An dem Tag haben sich die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten auf neue Flottengrenzwerte für Lkw geeinigt. Wichtig dabei, es bleibt bei einer „Tank-to-Wheel“ Betrachtung, die Erzeugung des Kraftstoffs (Well-to-Wheel) wird nicht berücksichtigt. Da ein LNG-Lkw am Auspuff CO2-emittiert, bietet er für die Flottengrenzwerte eine begrenzte Entlastung, da der LNG-Lkw rund 10 Prozent weniger CO2 als der Diesel-Lkw emittiert. Dies werde ein Ende der Entwicklung von LNG-Lkw bedeuten, sagte eine Quelle. Ein Sprecher von Scania verneinte dies gegenüber dem EID vehement. Man habe gerade einen neuen LNG-Motor auf den Markt gebracht. Wenn die Kunden den Antrieb wollen, werde man ihn anbieten. Wie man mit dem Thema Flottengrenzwerte umgehe, müsse man sehen. 2027 will die EU ihren Berechnungsansatz noch einmal überprüfen. Und für Speditionen ist wohl Bio-LNG eine interessante Option, wenn der Preis stimmt. Schneider berichtet von einer jetzt wieder stark steigenden Nachfrage.

Biogas und Biomethan hatten und haben in Deutschland nur begrenzt eine politische Lobby. Ob sich dies ändern wird, bleibt abzuwarten. Eine angekündigte nationale Biomassestrategie ist durch die Bundesregierung bisher nicht veröffentlicht. In einem Entwurf von Februar dieses Jahres spielt der Einsatz von Biomasse im Verkehr nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Mobilität & Alternative Antriebe
Artikel von Heiko Lohmann
Artikel von Heiko Lohmann