Neue Meilensteine für erneuerbare Kraftstoffe

Bild: Klima-Kraftstoffe

Mit einer neuen Pilotanlage in der HAW Hamburg lassen sich erneuerbare Kraftstoffe kostengünstig und effizient erzeugen. Im niedersächsischen Hoya kann indes ab sofort synthetisch erzeugter klima­freundlicher Diesel getankt werden. 

An der Classic-Tankstelle im niedersächsischen Hoya lässt sich seit dem 3. Februar offiziell synthetisch erzeugter Dieselkraftstoff tanken. In einem Konsortium mehrerer mittelständischer Unternehmen bietet die Lühmann-Gruppe als erster Standort Klimadiesel im freien Verkauf an. Der synthetisch erzeugte Dieselkraftstoff, der aus biologischen Rest- und Abfallstoffen wie etwa benutztem Pflanzenfett hergestellt wird, soll die CO2-­Emissionen gegenüber herkömmlichem Dieselkraftstoff deutlich senken. Angeboten wird der Kraftstoff in zwei verschiedenen Ausführungen. Klimadiesel25 ist ein Gemisch aus synthetischem und herkömmlichem Diesel, der bis zu 25 Prozent weniger CO2 emittieren soll. Dieser Kraftstoff erfüllt die Anforderungen der Norm für konventionelle Dieselkraftstoffe DIN EN 590 und kann deshalb ohne weitere Anpassungen in allen Fahrzeugen mit Dieselmotor eingesetzt werden.
„Umweltbewusste Menschen beschäftigen sich mit der Frage, wie wir angesichts der Klimakrise mobil bleiben können. Als Experten für Kraftstoffe liefern wir schon heute mit Klimadiesel die Antworten auf diese Frage“, zeigte sich Lorenz Kiene, Geschäftsführer der Lühmann-Gruppe bei der Präsentation zum Verkaufsstart vor rund 130 Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Presse überzeugt. Jedes Gramm geringerer CO2-Ausstoß sei Grund genug, um Klimadiesel zu tanken, so Kiene.

Vertrieben wird der Klimadiesel von der Klima Kraftstoffe GmbH, einem Konsortium mehrerer mittelständischer Unternehmen, die den synthetischen Kraftstoff nun bundesweit anbieten wollen. Derzeit kostet der Klimadiesel25 etwa 6 Cent mehr als herkömmlicher Dieselkraftstoff. „Wir haben uns bewusst für eine geringere Gewinnspanne als bei herkömmlichem Diesel entschieden, damit Klimadiesel für den Verbraucher bezahlbar bleibt und wir die Verbreitung schnell steigern können“, so Kiene. Im Gespräch mit dem EID machte er am Rande der Veranstaltung deutlich, dass sich mit einer wachsenden Verbreitung in Deutschland und steigenden Absatzmengen die Preise weiter an konventionellen Diesel anpassen dürften. Auch bei der Produktion erwartet Kiene derzeit keine Kapazitätsengpässe. Es seien mehrere Partner im Boot, die den synthetischen Kraftstoff herstellen könnten. Für die Produktion von einem Liter Klimadiesel würden 1,5 kWh Strom und rund 1,4 Kilogramm altes Pflanzenfett sowie 2,4 Prozent Wasserstoff benötigt. Bei einem Verbrauch von 5 Litern auf 100 Kilometern würden also 7 bis 8 kWh Strom aufgewendet, dies sei etwa nur ein Drittel dessen, was ein Elektrofahrzeug verbrauche, rechnete Kiene vor.

Neben dem Klimadiesel25, der von 99 Prozent aller Dieselfahrzeuge problemlos getankt werden könne, bietet Lühmann an seiner Classic-Tankstelle auch Klimadiesel90 an. Dieser kostet etwa 18 Cent pro Liter mehr als herkömmlicher Diesel, ist dafür aber ein zu 100 Prozent erdölfreier synthetischer Kraftstoff, dessen CO2-Emissionen sich gegenüber konventionellem Diesel um 90 Prozent reduzieren. Dieser Kraftstoff erfüllt die Anforderungen der DIN EN 15940 und kann somit in allen Dieselfahrzeugen mit Herstellerfreigabe ohne weitere Anpassungen und Modifikationen eingesetzt werden. Vom Gesetzgeber fehle aber noch eine Anpassung der 10. Bundes-Immissionsschutz-Verordnung, damit dieser Kraftstoff als Reinkraftstoff anerkannt wird. Für den freien Verkauf an Tankstellen kann Klimadiesel90 deshalb derzeit nur an exklusive Nutzerkreise wie Flottenkunden im Handelsbereich zugelassen werden. An der Classic-Tankstelle in Hoya lässt künftig der Holz-Unternehmer Ralf Schlesselmann aus Asendorf vier seiner Lkw auftanken und will zudem Bagger und Radlader auf den neuen Kraftstoff umstellen. Das kostet ihn nach eigenen Angaben rund 25.000 Euro mehr im Jahr, aber um CO2 einzusparen, gebe es keine Alternative, so der Unternehmer.

Auch die Verkehrsbetriebe Grafschaft Hoya (VGH) wollen das neue Angebot nutzen. Allerdings ist der reinsynthetische Kraftstoff für das kommunale Verkehrsunternehmen zu teuer. VGH-Geschäftsführer Holger Laurenz hat sich deshalb für Klimadiesel25 entschieden. Aus dem Stand heraus könnten die Verkehrsbetriebe so mehrere Hundert Tonnen CO2 einsparen – ohne dass die 48 Busse umgerüstet werden müssten. Auch wenn alle das Klimathema vor Augen haben, so Laurenz, seien die Fahrgäste im ländlichen Bereich kaum bereit, deutlich mehr für die Fahrkarten zu bezahlen.

Die Lühmann-Gruppe engagiert sich seit vielen Jahren gemeinsam mit anderen Partnern aus der Branche für eine nachhaltige Mobilität. Mehr als 30 mittelständische Unternehmen aus ganz Deutschland und der Technologieanbieter Chemieanlagenbau Chemnitz (CAC) haben die Informationsplattform „eFuels Forum“ ins Leben gerufen, die rund um das Thema synthetische Kraftstoffe Aufklärungsarbeit leistet. Aus diesem Kreis ist auch das Konsortium Klima Kraftstoffe entstanden, das den Klimadiesel nun bundesweit vertreiben will. Über konkrete Absatzprognosen wollte sich Kiene auf EID-Nachfrage nicht festlegen. Das Angebot könne schnell an die Nachfrage angepasst werden. Produziert wird der synthetische Kraftstoff vorwiegend von Unternehmen in Skandinavien.

HAW Hamburg nimmt neue Pilotanlage für klimaneutrale Kraftstoffe in Betrieb

Einen Tag vor der Lühmann-Präsentation nahm die HAW Hamburg gemeinsam mit dem Chemietechnikunternehmen Nexxoil eine neue Pilotanlage am Campus Life Science im Stadtteil Bergedorf in Betrieb: Auch hier sollen künftig Abfallstoffe wie Altfette, aber ebenso auch Plastikabfälle in einen klimaneutralen schwerölfreien Erdölersatz umgewandelt und daraus klimaneutrale Kraftstoffe der Zukunft entwickeln werden.

Aus dem Erdölersatz sollen aber nicht nur flüssige Kraft- und Brennstoffe aller Art, sondern auch Kunststoffe und vieles mehr hergestellt werden. Das notwendige Verfahren wurde im Rahmen des Forschungsprojektes READi-PtL von der Forschungsgruppe „Verfahrenstechnik“ unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner und Prof. Dr.-Ing Annika Sievers entwickelt. Die Pilotanlage ist auf eine Jahreskapazität von 100 Tonnen ausgelegt. Das Projekt ist Teil der X-Energy-Forschungspartnerschaft am Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der HAW Hamburg und nutzt Reaktive Destillationsverfahren (READi).

Gegenüber dem Produktionsverfahren für den Klimadiesel der Lühmann-­Gruppe konnte der Wasserstoffbedarf für die Hydrierung, also die Aufbereitung des Erdölersatzes aus dem READi-Prozess zu synthetischen Kraftstoffen, weiter reduziert werden. „Bei der Verfahrensentwicklung standen drei Ziele im Vordergrund: Nachhaltiger Klimaschutz auf Abfallbasis, Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Das hat zu einem preis­günstigen innovativen Konzept geführt, das es erlaubt, die Produktion dezentral in den Regionen durchzuführen, wo die Abfallstoffe anfallen, so dass der Transportaufwand minimiert wird, bisher nicht nutzbare Ressourcen verfügbar gemacht werden und die Wertschöpfung regional stattfindet“, unterstreicht Projektleiter Willner.

Prof. Dr.-Ing. Annika Sievers, Prof. Dr. Werner Beba (Leiter des CC4E), Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, Oliver Grundmann (Mitglied des Bundestags), Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner Nexxoil-Geschäftsführer Thorsten Dunker (v.l.) nehmen die neue READi-PtL-Pilotanlage am Campus Bergedorf der HAW Hamburg in Betrieb. Bild: HAW Hamburg.

Die Hamburger Forscher konnten Verfahren so weit optimieren, dass nur noch 1,6 Prozent Wasserstoff für einen Liter Erdölersatz benötigt werden. Dadurch sinkt auch der Strombedarf nun auf 1­ kWh pro Liter Kraftstoff und liegt für 100 Kilometer Fahrstrecke jetzt bei nur noch rund 5 kWh. Es bestehe das Potential für eine Schlüsseltechnologie zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors, macht Willner gegenüber dem EID deutlich. Die Sektorenkopplung als Verbindung zwischen Erneuerbaren Energien und Verbrauchssektoren wie der Mobilität über den Wasserstoffpfad und die Verwendung von Rest- oder Abfallstoffen bieten hierfür erfolgsversprechende Potentiale, auch, weil Strom und Wasserstoff effizient eingesetzt werden.

„Das CC4E-Forschungsprojektes ist ein tolles Beispiel für die Innovationskraft der Wissenschaft in Hamburg. Mit der neuen Pilotanlage können zum Beispiel Plastikabfälle auf nachhaltige Weise zu Kraftstoff aufbereitet werden – und nachhaltige Kraftstoffe sind ein wichtiger Baustein, um zukünftig von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden“, betonte Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank bei der Eröffnung der neuen Anlage.

Gemeinsam mit den Hamburger Projektverantwortlichen Sievers und Willner sowie rund 90 weiteren Wissenschaftlern hat sich nun ein internationales Bündnis aus Unternehmen und Verbänden der Logistik-, Mobilitäts- und Energiebranche an die EU gewandt, um dem Klimaschutzbeitrag erneuerbarer Kraftstoffe mehr Gewicht zu verleihen. Neben dem Transportlogistiker DB Schenker haben sich unter anderem auch die Energiekonzerne Engie, Eni, Repsol und TotalEnergies, der Motorenhersteller Deutz, der Maschinenbauer Liebherr und der Wirtschaftsverband Fuels & Energie (En2X) und der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen (UNITI) sowie die Unternehmensinitiativen eFuel Alliance und Zukunft Gas an dem Aufruf beteiligt. In dem der Redaktion vorliegenden Schreiben heißt es, die Defossilisierung des Kraftstoffsektors sei eine wichtige Voraussetzung, um die ambitionierten Klimaziele des europäischen „Fit-for-55“-Programms zu erreichen. Bis 2030 will die EU 55 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber den Ausgangswerten von 1990 im Verkehrssektor einsparen. Mit ihrem Appell wollen die Unterstützer die anstehenden Verhandlungen zur Überarbeitung der CO2-Flottengrenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge nutzen, um den Klimaschutzbeitrag erneuerbarer Kraftstoffe anzuerkennen. „Nutzfahrzeuge sichern eine kontinuierliche Logistik und damit die zuverlässige Versorgung von Bürgern und Unternehmen. Die über 6 Millionen Lkw in Europa sind weit überwiegend mit Verbrennungsmotoren ausgestattet. Klimafreundliche grünstrombasierte oder biogene Kraftstoffe sind daher unverzichtbar, um die CO2-Emissionen der Nfz-Flotten zu reduzieren“, unterstreicht Matthias Plötzke, UNITI-Geschäftsführer Europa.

Mehr zum Thema erfahren Sie auch auf dem 15. EID Kraftstoff-Forum am 22. März in Hamburg. Weitere Informationen und Buchungsmöglichkeiten unter www.eid-aktuell.de/ksf23

Artikel von Kai Eckert
Artikel von Kai Eckert