Neue CO2-Bepreisung: "So kann sich die Anreizwirkung nicht entfalten"

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Der neue CO2-Preis vor allem auf fossile Energieträger wie Erdgas, Heizöl oder Benzin und Diesel ist zum Jahreswechsel scharf geschaltet worden. Allerdings sind wichtige Umsetzungsfragen des neuen Mechanismus trotz Beginn der Bepreisung noch ungeklärt. Debattiert wird - neben zahlreichen weiteren von betroffenen Branchen vorgebrachten offenen Punkten - vor allem über die geplante Carbon Leakage-Verordnung, die Industriefirmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, von Zusatzkosten entlasten soll. Zum anderen läuft eine Debatte über Rechtsänderungen im Mietrecht. Der EID sprach über beide Punkte mit Ulf Sieberg, Leiter Büro Berlin, CO2 Abgabe e.V.
 
EID: Herr Sieberg, die Bundesregierung hat bereits im September Eckpunkte zu Ausnahmenregelungen im Zusammenhang mit der neuen CO2-Bepreisung beschlossen, doch zum Start des Nationalen Emissionshandels (nEHS) ist eine "Carbon Leakage"-Verordnung nicht in Kraft. Wie ist nach Ihrer Kenntnis der Stand?
 
Sieberg: Richtig, die Carbon Leakage-Regeln stehen noch aus. Es gibt derzeit noch keine Einigung zwischen Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium in Sachen Referentenentwurf. Überlegt wird, ob die Verbändeanhörung dennoch eingeleitet wird und in einem gemeinsamen Schreiben die unterschiedlichen Positionen der Ministerien kenntlich gemacht werden. Die Anhörung ist die Voraussetzung für einen Kabinettsbeschluss und die anschließende folgende Bundestagsbeteiligung. Und dann bedarf es auch noch einer Notifizierung aus Brüssel. Spätestens im Herbst sollte alles vorliegen, da dann mit den ersten Bescheiden an die Unternehmen zu rechnen ist.
 
EID: Macht der Ansatz, über weitere Industrie-Ausnahmen die Kosten für die Unternehmen durch den nEHS abzufedern, aus Ihrer Sicht Sinn?
 
Sieberg: Die Uneinigkeit der Bundesregierung in der Frage, wie Firmen vor der Abwanderung ins Ausland geschützt werden können, ist ein Offenbarungseid der großen Koalition in Sachen Klimaschutz. Dabei liegt der Ball klar im Feld von CDU und CSU. Wer die notwendige Anreizwirkung des CO2-Preises für Unternehmen aufrechterhalten will, der muss statt Ausnahmen zuzulassen nachweislich betroffene Unternehmen beim Klimaschutz finanziell stärker unterstützen.
 
EID: Welche alternativen Möglichkeiten für eine solche Unterstützung sehen Sie unter dem jetzt gewählten System?
 
Sieberg: Finanzielle Beihilfen zu mindestens 80 Prozent an Klimaschutzmaßnahmen zu binden, wie es der Entwurf aus dem Bundesumweltministerium vorsieht, ist schon mal nicht schlecht. Steuergeld des Staates sollte auch auf die Ziele des Staates einzahlen. Zahlungen nicht an Kriterien zu knüpfen, wie es Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will, damit schießt sich die Regierung hingegen selbst ins Knie. Grundsätzlich sollte gelten: Keine Ausnahmen für niemanden und wirtschaftliche Härten durch finanzielle Unterstützung abfedern. Mit Differenzverträgen, so genannten Carbon Contracts for Difference, ließen sich wirklich von der Abwanderung betroffene Unternehmen mit hohen CO2-Vermeidungskosten bei der Finanzierung von Klimaschutz gezielt unterstützen.

EID: In der Debatte um das Mietrecht setzt sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dafür ein, die neuen CO2-Kosten, die nach jetziger Sachlage von den Vermietern auf die Mieter abgewälzt werden dürfen, hälftig auf beide Parteien zu verteilen. Wie ist hier der Stand und halten Sie diesen Vorschlag für sinnvoll?

Ulf Sieberg. Bild: CO2 Abgabe e.V.

Sieberg: Die SPD setzt sich für eine gerechtere Aufteilung des CO2-Preises und damit der Kosten des Klimaschutzes zwischen Vermieter und Mieter ein. Dazu gibt es bereits im Klimaschutzprogramm 2030 einen Prüfauftrag. BMF, BMJV und BMU haben dazu ein Eckpunktepapier verfasst. Ursprünglich sollte das Problem bis Ende 2020 gelöst sein. Doch auch hier kommen die Unions-geführten Ministerien nicht voran. Wenn der CO2-Preis dem Eigentümer der Heizungsanlage und des Gebäudes Anreize setzen soll, in klimafreundlichere Technologien zu investieren, dann dürfen die höheren Kosten für fossile Energieträger nicht 1:1 an die Mieter weitergegeben werden, die auf Heizung, Fenster und Fassade keinen Einfluss haben. Denn so kann sich die Anreizwirkung nicht entfalten. Konsequent und fair wäre es, die Weitergabe des CO2-Preises im Mietbereich vollständig zu unterbinden. Und auch hier gilt: Statt Ausnahmen vom CO2-Preis sollten soziale Härten bei Vermietern durch Hilfen bei der Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen abgefedert werden.

EID: Welche Rolle werden aus Ihrer Sicht Gerichte für die weitere Etablierung des neuen Brennstoffemissionshandels spielen?
 
Sieberg: Wir hätten uns gewünscht, dass der Nationale Brennstoffemissionshandel einer Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht unterzogen würde. Denn wir halten den Mechanismus aus Festpreis-Emissionshandel und Zertifikatehandel ab 2027, wie er auf Druck der CDU/CSU gewählt wurde, für nicht verfassungskonform. Zahlreiche Gutachten bestätigen diese Sicht. Spätestens, wenn die Unternehmen ihre Zustellungsbescheide im Herbst erhalten, wird es Verfassungsklagen geben. Damit der Brennstoffemissionshandel nicht zur zweiten PkW-Maut wird und nachträglich abgewickelt wird, wäre eine schnellstmögliche Klarstellung sinnvoll. Der CO2-Preis wäre damit rechtssicherer. Leider gibt es dafür keine Mehrheit, weder im Bundestag noch unter den Ländern und der Regierung selbst, die eine Normenkontrolle anstrengen könnten.
 
EID: Halten Sie den Brennstoffemissionshandel in der nun gewählten Form generell für das adäquateste Mittel, CO2-Emissionen auch in den Bereichen Wärme und Verkehr in Deutschland schnell zu senken?
 
Sieberg: Der nationale Brennstoffemissionshandel ist ein deutscher Sonderweg in Europa. Alle anderen Mitgliedsstaaten, die CO2 bepreisen, machen das über die Energiesteuern. Eine CO2-basierte Energiesteuerreform für fossiles Heizen und Mobilität wäre daher der wirksamere, schnellere und unbürokratischere Weg gewesen. Stattdessen hat die Union aus ideologischen Gründen, um das Wort Steuer zu vermeiden, mit dem Brennstoffemissionshandel ein bürokratisches Monster mit 13 Rechtsverordnungen erzwungen. Den "EU Green Deal" und die Revision der Energiebesteuerungsrichtlinie sowie des EU-Emissionshandels muss die neue Bundesregierung deswegen zum Anlass nehmen, einen verursachergerechteren, einheitlichen CO2-Preis über alle Sektoren von Strom über Wärme bis hin zum Verkehr inklusive CO2-Mindestpreis im EU-Emissionshandel mit einem langfristigen Preisanstiegspfad auszustatten. Erst ab 2030 ist dann ein EU-weiter Emissionshandel für Strom, Wärme und Verkehr realistisch.

EID: Herr Sieberg, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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Artikel Redaktion EID
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