Wärme Hamburg-Chef Heine: „Die Quadratur des Kreises ist machbar“

Christian Heine ist seit Mai 2019 kaufmännischer Geschäftsführer der Wärme Hamburg GmbH. Bild: Wärme Hamburg

Mit dem Rückkauf der Energienetze hat Hamburg energiepolitischen Gestaltungsspielraum zurückgewonnen. Vor allem die Rekommunalisierung der Wärme soll nun genutzt werden, um die Fernwärmeversorgung zu dekarbonisieren. Der EID sprach mit dem Geschäftsführer der Wärme Hamburg GmbH, Christian Heine, über die aktuellen Herausforderungen.

EID: Herr Heine, nach einem Volksentscheid von 2013 hat Hamburg die Energienetze rekommunalisiert. Als Geschäftsführer der jeweiligen Netzgesellschaften haben Sie diesen Prozess intensiv begleitet. Seit vergangenen September überführen Sie nun das Fernwärmenetz in städtische Verantwortung. Wie kommen Sie dabei voran?

Heine: Es läuft gut. Vattenfall hat ja bereits mehrere Trennungsprozesse hinter sich, so dass sich die Abläufe eingespielt haben. Als wir zunächst das Stromnetz und dann von E.ON das Gasnetz übernahmen, haben wir nach dem Herauslösen der IT aus den beiden Konzernen einen Gemeinschaftsbetrieb IT gegründet. In dem werden die Infrastrukturen für Strom, Gas, Verkehrsanlagen und jetzt auch Wärme in einem eigenen Rechenzentrum betrieben. Auch in anderen Bereichen haben wir bestimmte Querschnittsfunktionen gar nicht erst bei Wärme Hamburg aufgebaut, sondern beziehen diese von anderen Konzerntöchtern der Stadt. Das Fuhrparkmanagement übernimmt für uns Hamburg Wasser, die Lohnbuchhaltung regelt die Stromnetz Hamburg und den Einkauf die Gasnetz Hamburg. Letzteres, weil wir aus der alten E.ON-Welt versierte Fachkräfte übernommen haben, die in größerem Maßstab Erzeugungsanlagen beschafft haben. Dieses spezialisierte Know-how ist schwer am Arbeitsmarkt zu bekommen, kommt uns bei unseren Projekten jetzt aber zugute, denn als Wärmegesellschaft sind wir ja nicht nur Netz-, sondern auch Anlagenbetreiber.

EID: Gab es dabei keine Probleme?

Heine: Verglichen mit anderen Rekommunalisierungsprojekten in Deutschland erstaunlich wenig. Der Vorteil in Hamburg, sobald politische Entscheidungen getroffen sind, werden Dinge auch kraftvoll umgesetzt. Der gesamte Rekommunalisierungsprozess wird von einem Gremium, dem der Bürgermeister, die zuständigen Fachsenatoren und die Senatskanzlei angehören, begleitet, und die Politik steht darüber auch beratend zur Seite. Das ist besonders hilfreich, denn neben der eigentlichen Rekommunalisierung spielt bei uns ja ein zweites großes Thema eine Rolle: Die Dekarbonisierung des Fernwärmesystems.

EID: Sie sprechen es an: Bis 2025 muss das Heizkraftwerk Wedel ersetzt werden. Wie wird sich die Hamburger Fernwärmeversorgung in den nächsten Jahren ändern?

Heine: Wedel liefert zwar erst seit Anfang der 90er Jahre Wärme, ist aber technisch eines der ältesten Kohlekraftwerke in Deutschland. Wir wollen die Kohle nicht einfach nur durch einen anderen fossilen Brennstoff ersetzen, sondern in das Thema Energierecycling einsteigen. Hamburg ist ja auch ein großer Industriestandort, und in der Grundstoffindustrie im Aluminium-, Kupfer- und Stahl­­bereich und den großen Raffinerien entsteht sehr viel industrielle Abwärme. Diese wollen wir nutzbar machen und möglichst viele energetische Prozesse einbinden. Überdies ist auch die Abwärme aus thermischer Verwertung, Abwasserwärmepumpen oder aus der Klärschlammverbrennung ein enorm wichtiges Thema. Mit Ausnahme der thermischen Verwertung sind das aber alles Wärmequellen mit unsteten Einspeisemengen, die wir mit unterschiedlichen Lastbändern und Temperaturniveaus in Sekundärwasserkreisläufe einbinden. Um die Temperaturen zu verstetigen und zu erhöhen benötigen wir eine GuD-Anlage. Diese wollen wir im so genannten „Energiepark Hafen“ auf der Elbinsel Dradenau im Süden Hamburgs errichten. Mit einer Feuerungswärme­leistung von 400 MW und 230 bis 250 MW thermischer Leistung soll die Anlage die lokale Industriewärme bündeln und ins System einspeisen.

EID: Dafür brauchen Sie aber eine Fernwärmetrasse aus dem Hafen zu den Verbrauchsschwerpunkten nördlich der Elbe. Haben Sie keine Angst, dass Sie da bei der Bevölkerung auf Widerstand stoßen?

Heine: Ja, es ist erforderlich, dass wir vom Energiepark eine Wärmetrasse unter der Elbe bauen, um die Wärme für die Versorgung des Hamburger Westens abzuführen. Unsere Planung ist anspruchsvoll, wir liegen aber bei den Genehmigungsverfahren gut im Zeitplan. Zudem haben wir versucht, das Klagerisiko möglichst gering zu halten und planen die Fernwärmetrasse deshalb nur über öffentlichem Grund. 2024 wollen wir in den Probebetrieb gehen. Das ist wichtig, um auch die GuD-Anlage in der Heizperiode unter Volllast zu testen und Einstellungen vorzunehmen, denn vorher kann Wedel nicht abgeschaltet werden.

EID: Wie lassen sich Lastspitzen abdecken? Die Abwärme-Nutzung und ein GuD werden den Bedarf allein doch nicht sicherstellen können?

Heine: Von Oktober bis März haben wir die klassischen Lastspitzen. 1.550 MW im Winter und im Sommer dann nur noch 150 MW. Die industrielle Abwärme fällt aber das ganze Jahr über an. Wir müssen eine Lösung finden, wie wir die Energie saisonal speichern können.

EID: Andere Kommunen setzen deshalb auf große Wärmespeicher. Sie wollen aber einen anderen Weg einschlagen ...

Heine: Wir planen, einen Aquiferspeicher zu bauen. Das ist keine Geothermie, sondern wir werden versalzene Grundwasserstöcke in 400 bis 1.000 Metern Tiefe nutzen. Dort wollen wir das industrielle Abwärmepotenzial einleiten und in der Heizperiode wieder nutzbar machen. Wir beginnen am Standort Tiefstack im östlichen Fernwärmesystem mit einer Dublettenbohrung, dort sind die geologischen Strukturen besonders geeignet. Durch die Nähe zum dortigen Kraftwerk können wir den Speicher schnell ins Fernwärmesystem integrieren. Wenn es funktioniert, könnten wir so ein riesiges Potenzial heben, weil wir das Portfolio an Erzeugungsanlagen für die Spitzenlastzeiten deutlich verkleinern können.

EID: Das klingt nach einer großen Herausforderung.

Heine: Anlagentechnisch ist es das auch. In einer solchen Größenordnung gibt es das bislang noch nicht. Wir werden das jetzt im norddeutschen Reallabor mit einer 2 MW-Anlage testen. Das ist ein spannendes Projekt, und wir könnten damit die spezifischen Kosten für die Wärmebereitstellung massiv reduzieren.

EID: Kritiker haben ja immer davor gewarnt, dass die Fernwärmepreise in Hamburg – entgegen allen politischen Beteuerungen – steigen müssen. Wie wollen Sie die nötigen Investitionen stemmen und trotzdem ein wirtschaftlich tragfähiges Wärmekonzept umsetzen?

Heine: Wir müssen den richtigen Ausgleich zwischen Ökologie auf der einen und Sozialpolitik auf der anderen Seite finden. Es gibt einen klaren politischen Auftrag, dass unsere Fernwärmepreise auch nach dem Umbau des Systems nicht stärker steigen sollen, als die vergleichbarer Wettbewerbstechnologien. Durch das Kohleausstiegsgesetz haben sich die Rahmenbedingung der KWK-­Förderung verbessert. Für unsere GuD-Anlage bedeutet das, dass die Förderung von 31 auf 36 Cent/kWh steigt. Das wirkt sich natürlich positiv auf die Wirtschaftlichkeit der Anlage aus. Auch bei Abwasserwärmepumpen haben sich die Rahmenbedingungen verbessert, so dass wir jetzt größere Anlagen bauen können, die auch für die Fernwärme nutzbar sind. Und die industrielle Abwärme hat de facto in ihrem Leistungs- und Arbeitspreis Gestehungskosten, die weit unter dem Niveau liegen, das wir im fossilen Brennstoffmarkt sehen. Die Möglichkeit über thermische Verwertung wettbewerbsfähig Wärme nutzbar zu machen, ist ein enormer Kostenvorteil und viel günstiger, als ein neues Kraftwerk zu bauen. Was erstmal klingt wie die Quadratur des Kreises ist machbar. Je mehr erneuerbare Energien wir in das System einbinden, umso wettbewerbsfähiger werden wir uns zu denjenigen Wettbewerbern aufstellen, die auf klassische Technologien setzen.

EID: Welche Chancen erwarten Sie aus der Einführung eines festen CO2-Preises auf Brennstoffe zum Jahreswechsel?

Heine: Der Einstieg in die CO2-Bepreisung hilft uns, denn der gesamte sonstige Wärmemarkt ist ja bislang davon ausgenommen. Als Anlagenbetreiber waren wir aber über das EU-Emissionshandelssystem zuvor bereits emissionshandelspflichtig. In Hamburg gibt es noch rund 40.000 Ölheizungen. Überall dort wo sich BHKW-­Konzepte oder andere alternative Systeme aufgrund von Platzmangel nicht realisieren lassen, sehen wir Potenzial für die Fernwärme. Der Marktanteil der Fernwärme soll nach dem Willen des Senats von derzeit 25 Prozent auf 35 Prozent in 2030 steigen. Aber wir sind ja nicht die einzigen, es gibt auch noch andere Wärmenetzbetreiber in Hamburg.

EID: Zunehmend kommen auch andere Anbieter auf den Hamburger Wärmemarkt und bauen Nahwärmenetze auf oder setzen Quartierslösungen um. Inwiefern lässt sich dies für Kooperationen nutzen?

Heine: Auf Kooperationen setzen wir bereits. Die Wärmeauskopplung von Teilen der industriellen Abwärme aus der Kupferhütte von Aurubis wird von enercity für die östliche Hafencity betrieben. Weitere Wärmemengen wollen wir für die Fernwärme nutzen. Auch mit Hansewerk Natur gibt es gemeinsame Projekte. Wir wollen aber nicht ausschließlich mit Fernwärme wachsen, sondern auch Inselnetze nach neuen energetischen Standards bauen und diese perspektivisch über Quartiersentwicklungen verbinden. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Allerdings haben wir eine ausgeprägte Wettbewerbssituation.

EID: Wie wird der Umbau der Wärmeerzeugung in Hamburg auch von anderen Kommunen verfolgt und inwiefern kann die Wärme Hamburg dabei Impulse für die Wärmewende setzen?

Heine: Wir bekommen viele Rückfragen aus der Branche. Rückblickend lässt sich sagen, dass die Rekommunalisierung gut funktioniert. Der Vorteil liegt ja darin, dass die Bruttowertschöpfung in der Stadt bleibt. Bei der Zielsetzung des Senats ist es sinnvoll, diese Infrastruktur in eigener Regie betreiben zu können. Natürlich lässt sich unser Weg nicht vollständig als Blaupause für andere Kommunen verwenden. Nachfolgende Generationen werden immer häufiger hinterfragen, wie ist mein Quartier energetisch versorgt und dabei auch Vergleiche zu anderen Kommunen ziehen. In kleineren städtischen Strukturen ist die Energiewende gar keine so große Herausforderung, in den industriell geprägten Regionen aber schon. Dazu einen Beitrag zu leisten und sich als Stadt zu positionieren, das ist eine tolle Aufgabe.

EID: Herr Heine, wir danken für das Gespräch.

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Artikel Redaktion EID
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