Windforce 2021: Ein Ausbaupfad von 40 GW wird wohl nicht reichen

Das traditionelle Gruppenfoto zum Auftakt der diesjährigen Windforce-Konferenz. Bild: WAB

Die Offshore-Windindustrie hofft nach „Hungerjahren“ angesichts langfristiger Ausbauziele wieder auf bessere Zeiten und noch ehrgeizigere Ausbauziele. Eine „neue Ära“ wurde von Seiten der Politik auf der Windforce 2021 angekündigt.

Das diesjährige „Klassentreffen“ der Offshore-Windindustrie, die Windforce Conference 2021, fand nicht in einem „Plüschsaal“ statt, wie der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies in seinen Eingangsstatement befand, sondern dort, „wo die Arbeit wirklich stattfindet“. Nicht die Stadthalle Bremerhaven wie im vergangenen Jahr – zwar ebenfalls kein Plüschsaal – war Veranstaltungsort, sondern die Produktionshallen der Rupertus-Strako GmbH, einem Korrosionsschutzexperten, im Bremerhavener Fische­reihafen.

Eine Konferenzumgebung passend zum Tagungsthema, denn in Bremerhaven kennt sich aus mit den negativen Auswirkungen der Ausbaudelle. Ein paar Hausnummern weiter die Straße runter ging vor ein paar Jahren WeserWind pleite. In der Stadt gibt es inzwischen keine Fertigungsstätte für die Offshore-Wind­industrie mehr, über 4.000 Stellen sind in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Fehlende Verlässlichkeit in den politischen Rahmenbe­dingungen waren Auslöser des Firmen- und Jobschwunds, dessen Nachwirken die Branche noch länger beschäftigen wird, denn Fachkräfte und Know-how sind abgewandert und werden nun händeringend gesucht. „Wir haben in den letzten Jahren eine Menge Leute ver­grault“, sagte Thomas Pontow vom Ingenieurbüro b.offshore.

Seit 2020 wurden keine neuen Wind­energieanlagen ins Wasser gestellt, daher ist nicht nur in Bremerhaven, sondern deutschlandweit in der Zulieferindustrie die Zahl der Beschäftigten rückläufig. Die Anzahl der Jobs im Off­shore-­Bereich ist laut Heike Winkler, Geschäftsführerin des Branchenverbands WAB, seit Ende 2018 nochmal deutlich zurückgegangen. Bei 21.500 liegt man derzeit laut einer aktuellen Erhebung der Bremer Wind:Research, das sind 3.000 weniger als noch vor drei Jahren. Der Umsatz der Offshore-­Wind­industrie hierzulande hat sich in den letzten zwei Jahren um 2 Milliarden Euro auf 7,4 Milliarden Euro reduziert, viele Marktteilnehmer haben der Branche den Rücken gekehrt: laut Wind:Research haben sich 2019 noch ein Drittel (33 Prozent) der Branchenunternehmen auf das Offshore-Geschäft konzentriert, 2021 sind es nur noch knapp 24 Prozent.

Nicht nur die deutsche Zulieferindustrie hat ihre Konsequenzen gezogen aus dem „Fadenriss“ beim Ausbau, auch große internationale Unternehmen wie der dänische Energiekonzern und Weltmarktführer im Bereich Offshore-­Wind­ener­gie Ørsted haben reagiert wie Jörg Kubitza, Geschäftsführer von Ørsted Deutschland, bestätigte. „Globale Unternehmen treffen ihre Investitionsentscheidungen aufgrund der Attraktivität von Märkten. Unser Unternehmen hat in den vergangenen Jahren durchaus Entscheidungen gegen den deutschen Markt getroffen, weil wir diesen als nicht so attraktiv empfunden haben im Gegensatz zu anderen Märkten. Kleine Projekte, schleppender Ausbau: Wir hoffen nun dass es besser wird, sehen aber auch, dass der deutsche Markt – aus der Sicht eines globalen Unternehmens – attraktiver werden muss.“

Aus Sicht des Unternehmens-­Netz­werks WAB, das sich insbesondere für die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen einsetzt, geht es daher nun darum, „den Trend umzukehren“. Hierfür müssten alle „Beschleunigungspotenziale für das Vorziehen von Bauaktivitäten in der Nord- und Ostsee geprüft und kurzfristige politische Unterstützungsinitiativen beispielsweise im Bereich Qualifizierung realisiert werden“, so Winkler auf der Konferenz.

Auch in Schottland, dem diesjährigen Partnerland der Windforce erhofft man sich wirtschaftliche Chancen durch die Energiewende mit Windenergie und grünem Wasserstoff. Der schottische Energieminister Michael Matheson betonte in einer Videobotschaft, sein Ministerium erwarte, dass die Branche das Potenzial habe – auch mit Blick auf die Möglichkeiten, die sich durch den Export von grünem Wasserstoff ergäben – bis 2045 mehr als 300.000 Menschen eine Beschäftigung zu geben.

„Offshore-Wind: Klimaschützende Wertschöpfung“ lautet das Motto der diesjährigen Windforce, die Branche setzt darauf, dass angesichts der Herausforderungen des Klimawandels bereits in naher Zukunft die Potenziale der Wind­energie auf See stärker genutzt werden. Nach den  „Hungerjahren“, wie Wind:Research-Geschäftsführer Dirk Briese es nannte, herrscht aktuell dennoch ein gewisses Maß an Zuversicht: Die nationalen Ziele sind definiert und liegen auf dem Tisch – 20 GW Offshore-Kapazität bis 2030, 40 GW bis 2040.

Die Branche steht angesichts der sich abzeichnenden langfristigen Marktpotenziale in den Startlöchern. In den Botschaften der WAB, die an Stephanie von Ahlefeldt, Abteilungsleiterin Energiepolitik – Strom und Netze im Bundes­wirt­schafts­ministerium, übergeben wurden, war u.a. der Vorschlag für ein Zwischenziel für den Offshore-Windausbau enthalten. 35 GW bis 2035 wünscht sich die Branche, zu denen weiteren Kapazitäten für den Bedarf an grünem Wasserstoff aus Offshore-Wind hinzukommen sollten.

Die BMWi-Gesandte von Ahlefeldt bekräftigte, man sei „in einer neuen Ära angekommen“. Es gehe nicht mehr nur darum, Ziele zu definieren und sich dabei „möglicherweise auch noch gegenseitig selbst zu übertreffen oder auszubremsen“, sondern man habe nun ein klares Ziel, und das sei die Klimaneutralität bis 2045. „Wir können bei der Planung, wie wir zur Klimaneutralität kommen, neu ansetzen, weil das Datum steht. Nun können wir Zielszenarien entwerfen, Netze planen und Offshore-­Bedarfe definieren.“ Die Offshore-­Wind­energie gehöre, so von Ahlefeldt, als zentraler Bestandteil zur Klimaneu­tralitätsstategie dazu. Von Ahlefeldt betonte, sie teile die Einschätzung, man sei an einem Tiefpunkt angekommen, nun gehe es aber aufwärts. Dabei übte sie auch Selbstkritik: „Was hätte man besser machen können? Wir hätten vielleicht eher darauf kommen können, dass Off­shore ein Thema für Ausschreibungen ist, dass es ein Thema ist für zentrale Planungen, um die Verbindung zwischen Off­shore-­Windparks und Netzanbindungen besser hinzubekommen.“ Dann, so die BMWi-Abteilungsleiterin, hätte man wohl schon früher fallende Kosten gesehen und hätte die Politik nicht so verschreckt mit den sehr hohen Preisen, die im Stauchungsmodell aufgerufen wurden und die letztlich dazu geführt hätten, dass dann wieder auf Wind an Land umgeschwenkt wurde.

Das Potenzial von Offshore-Wind­energie wird nicht nur branchenseitig, sondern auch von politischen Vertretern als durchaus größer als die bereits festgezurrten 40 GW, die bis 2040 entstehen sollen, eingeschätzt. Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Lies hält die 40 GW für „schlichtweg nicht ausreichend“, um die angestrebte Klimaneutralität zu erreichen und verwies auf eine Studie der Stiftung Offshore-Windenergie, die von einem Offshore-Potenzial von 60 GW ausgeht. Offshore ginge also, so Lies, „noch eine ganze Menge mehr“. Insbesondere im Hinblick auf das zusätzliche Potenzial durch die Wasserstoff-Technologien. Sein Vorschlag: „Wasserstoff auf See produzieren und diesen über eine Pipeline an Land bringen“. Eine „kombinierte Form von Strom und Wasserstoff an Land zu bringen, das muss die Lösung sein, die wir angehen und die eine Grundlage dafür schafft, dass wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, auch erreichen“.

„Industrie folgt Energie, und die Energie der Zukunft ist hier“

Als ein weiteres Instrument, die Klimaneutralitätsziele – gegebenenfalls schon 2040 – zu erreichen, hält Lies ein Gremium nach dem Vorbild der Kohlekommission für geboten. Man müsse sich auf einen verlässlichen Rahmen verständigen: „Wie viel Windenergie an Land, wie viel Wind auf See, wie viel Photovoltaik, welches System und mit welchen Rahmenbedingungen beschleunigen wir den Ausbau?“ Das, so Lies, müsse einmal geklärt und im Parlament festgehalten werden, um nicht immer wieder von diesem Kurs abzuweichen. „Deswegen hoffe ich, dass in einer solchen Kommission die Leitplanken gesetzt und rechtlich fixiert werden, die einen Ausbaupfad verlässlich vorgeben.“

Der Norden Deutschlands habe, so Lies, „alle Chancen“ vom Umbau des Energiesystems zu profitieren. „Industrie folgt Energie, und die Energie der Zukunft ist hier“, lautet seine Formel.

Etwas ausgebremst sehen sich indes Offshore-Akteure – trotz nun wieder positiverer Grundstimmung – wie Ørsted bei ihren ambitionierten Plänen, mittels Offshore-Strom und Wasserstoff zur Dekarbonisierung u.a. der Industrie beizutragen. Erst kürzlich haben Ørsted sowie der Energiekonzern Uniper für den Standort Wilhelmshaven eine Absichtserklärung (MoU) unterzeichnet, um Offshore-­Wind­kraft und Wasserstoffprojekte zusammen voranzutreiben. Interessant ist der Standort wegen bereits bestehender Umspannstationen und der Küstennähe. Das seien neue Konzepte, die das Netz nicht belasteten, so Ørsted Deutschland-Geschäftsführer Kubitza, und sogar dazu beitragen könnten, das Netz zu stabilisieren, da große Lasten dem Stromnetz entnommen würden. Man habe das Angebot gemacht, förderfreie Offshore-­Windparks zu bauen und sie ans Netz oder eben an einen Elektrolyseur anzuschließen, ohne zusätzliche Kosten für die Gesellschaft. „Wir brauchen keine Förderung“, so Kubitza, „gebt uns die Fläche, den Rest machen wir allein“. Allerdings fehlt es eben an diesen Flächen, zudem lässt das aktuelle Auktionsregime solche Vorhaben derzeit nicht zu. Die Offshore-­Windenergie, so Kubitza, sei der „Back­bone der deutschen Energiewende“. Es brauche größere Ziele, „ziemlich sicher 60 GW“, einen schnelleren Ausbau und ein besser gestaltetes On­shore-­Design, denn ohne die Offshore-­Wind­energie werde es keine erfolgreiche Energiewende geben.

Artikel von Imke Herzog
Artikel von Imke Herzog